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Rede
01.03.2007 – Volker Schneider
Minimallösung zur Entschädigung von SED-Opfern enttäuscht
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei aller gebotenen und bei aller eingeforderten Ernsthaftigkeit scheint mir die jetzige Diskussion sehr durch große Worte bei kleinen Taten gekennzeichnet zu sein. Die Regierungskoalition wird sich schon daran messen lassen müssen, was sie selbst in ihrem vorliegenden Antrag als ihre Zielsetzungen formuliert hat. Da ist nachzulesen, dass die Regierungskoalition mit dem Antrag den Einsatz für Demokratie und Freiheit würdigen, Unrecht, Verfolgung und Behördenwillkür aufarbeiten, den Opfern des SED-Regimes eine späte Genugtuung geben und sie für erlittenes Unrecht entschädigen will.
(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Sehr richtig!)
Ich kann dazu bereits einleitend feststellen: Ihr Antrag wird weder zu einer ernsthaften Würdigung der Leistung der Opfer führen noch einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten und schon gar nicht den Opfern eine späte Genugtuung geben. Im Gegenteil: Für die Betroffenen wird die bittere Erkenntnis zurückbleiben Olaf Scholz hat das richtig angesprochen, dass es sich in vielen Fällen mehr rentiert hat, den Mund zu halten oder mitgemacht zu haben oder selbst Täter gewesen zu sein, als das Wagnis eingegangen zu sein, deutlich Position bezogen zu haben. Das ist kein gutes Signal für unsere Demokratie.
Kurt Tucholsky schrieb 1921 in der „Weltbühne“:
Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.
Sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden, etwa Meinungsfreiheit oder wirtschaftliche Reformen zu fordern, erforderte in der früheren DDR einen ganz besonderen Charakter. Systematisch wurden Neinsager mit einer Reihe von Schikanen und Repressalien überzogen, von denen die im Antrag der Regierungskoalition genannte Haft oft nur der finale und sichtbarste Ausdruck eines Systems der Einschüchterung und Unterdrückung war.
War es etwa leichter, Nein zu sagen, wenn einem keine Haft, sondern „nur“ Zwangsumsiedlung, systematische Benachteiligung in der Schule oder die sogenannten Zersetzungsmaßnahmen drohten? Sicher nicht! Die Betroffenen wussten, dass sie ein hohes persönliches Risiko eingegangen sind. Wollen Sie mit Ihrem Antrag wirklich die - wie es der Bundesrat formuliert hat - gesellschaftliche Bedeutung des mutigen Einsatzes für eine rechtsstaatliche und freiheitliche Ordnung wirklich als beispielgebend herausstellen? Eine Beschränkung der Opferrente auf Gefangene, zudem nur auf solche, die mehr als sechs Monate inhaftiert waren, wird diesem Anspruch nicht gerecht.
Ebenfalls voll an Ihren eigenen Ansprüchen vorbei geht die vorgesehene Abhängigkeit der Unterstützungsleistung vom Einkommen. Ich frage Sie: Welchen Status hat eine Anerkennung durchlittenen Unrechts, die vom Einkommensniveau der Bezugsberechtigten abhängig gemacht wird? Wollen Sie den Mut dieser Menschen ehren, oder wollen Sie diese einer bisweilen demütigenden Offenlegung ihrer Einkommensverhältnisse aussetzen?
(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Wo sind denn Ihre Vorschläge und Alternativen? Maria Michalk (CDU/CSU): Das ist nicht auszuhalten! Wo ist vor allen Dingen Ihre Reue? Zuruf von der Linken: Warten Sie einmal ab!)
Herr Fromme, stellen Sie doch eine Zwischenfrage; dann beantworte ich sie Ihnen. Was ist das für eine Form von Anerkennung das ist ein ganz zentraler Punkt, wenn von noch lebenden 70 000 Betroffenen gerade einmal 16 000 erwarten können, von Ihren Regelungen zu profitieren?
Die hehren Worte Ihrer Ankündigungen in der Vergangenheit haben leider den Auffassungen Ihrer Finanzpolitiker Platz gemacht. So wundert es auch nicht, dass in Ihrem Antrag die dringend gebotene Beweislastumkehr bei verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden nicht vorgesehen ist. Aber ich habe dankbar zur Kenntnis genommen, dass Herr Vaatz angedeutet hat, dass hier bis zum Sommer vielleicht noch etwas geschehen könnte.
Wer angesichts derartiger Minimallösungen davon spricht, der demokratische Staat würdige mit diesem Antrag die Zivilcourage und aufrechte Haltung dieser Menschen, dem kann ich den Vorwurf nicht ersparen die Kollegin Wicklein hat sich in einer Pressemitteilung entsprechend geäußert; sie ist leider nicht mehr da, dass so wenig Würdigung von den Betroffenen nur als Hohn empfunden werden kann und empfunden wird.
Eine weitere Anmerkung scheint mir in dieser Debatte dringend geboten zu sein. Fast 17 Jahre nachdem die frei gewählte 10. Volkskammer der DDR einstimmig, also auch mit den Stimmen der früheren PDS,
(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja rührend!)
ein Rehabilitierungsgesetz auf den Weg gebracht hat, das bereits einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen vorsah, die in gesonderten Rechtsvorschriften geregelt werden sollten, legen Sie heute wieder keine rechtlichen Regelungen vor, sondern nur Eckpunkte. Was einen derart langen Bearbeitungszeitraum erforderlich macht, bleibt schleierhaft. Aufwendige Vorarbeiten können es jedenfalls nicht gewesen sein; denn Ihr Antrag ist in weiten Passagen wortgleich aus der Bundesratsdrucksache 425/04 vom 25. Mai 2004 abgeschrieben. Die Bewertung dieses Vorgangs möchte ich Armin Görtz von der „Leipziger Volkszeitung“ überlassen. Er hat geschrieben:
Dieser Entschluss von Union und SPD hat 16 Jahre länger gedauert, als nötig und angemessen gewesen wäre.
Ich füge hinzu: Das Ergebnis ist mehr als traurig.
Ihrem Antrag wird meine Fraktion daher nicht zustimmen können. Und ich kündige bereits heute an, dass wir, statt weitere Eckpunkte zu formulieren die Forderungen von der FDP und die weiter gehenden Forderungen der Grünen gehen diesbezüglich in die richtige Richtung, im Zuge der Beratungen einen eigenständigen Gesetzentwurf vorlegen werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN Maria Michalk (CDU/CSU): Dann legen Sie Ihren Vorschlag dazu vor! Eberhard Gienger (CDU/CSU): Wozu kann man sich nur hergeben?)
Gehe zu: m. 05.07.2007 h. 01.06.2006