k. 09.03.2006

Rede
09.03.2006 – Volker Schneider
Die Regierung ist doch noch lernfähig!

Angesichts der katastrophalen Lage, in der sich die gesetzliche Rentenversicherung derzeit befindet, ist eine verlässliche Rentenhöhe für die Rentenbezieher von größter Bedeutung. Insbesondere die Berücksichtigung „1-Euro-Jobs“ in der Lohn- und Gehaltsstatistik führt zu einer sachlich nicht zu rechtfertigen Minderanpassung der Rente. Dies gilt umso mehr, als den Rentnerinnen und Rentnern in den letzten Jahren ohnehin bereits mehrere Nullrunden zugemutet wurden und in Zukunft noch werden. Auch die Regierungskoalition scheint dazu gelernt zu haben und wird deshalb die Forderungen der Fraktion DIE LINKE. umsetzen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war hier eben die Rede davon, dass es keine Rentenkürzungen geben wird. Ich habe die Situation von vor zwei Wochen etwas anders in Erinnerung: Bundesminister Müntefering ist als Sheriff von Nottingham durch die Lande gezogen und hat den eingeschüchterten Untertanen nichts anderes verkündet, als dass die meisten von ihnen zwei Jahre länger arbeitslos bleiben oder auf 7,2 Prozent ihrer Renten verzichten müssen. (Widerspruch bei der SPD) Was ist das anderes als eine Rentenkürzung? (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt) Weil solche Ankündigungen in Zeiten von Wahlen in drei Wochen werden bekanntlich in drei Bundesländern neue Landesparlamente gewählt denkbar schlecht ankommen, erleben wir heute eine Fortsetzung dieser Soap auf unserer Staatsbühne. Der erste Diener des Hauptdarstellers hat das grüne Wams von Robin Hood angezogen und verkündet der staunenden Menge: Fürchtet euch nicht! Wir werden verhindern, dass man euch auch nur einen Cent eurer Rente wegnimmt. Das ist zwar sehr löblich, aber diese Inszenierung hat einen kleinen Schönheitsfehler. Wo sind denn bitte die Räuber, vor denen dieser Robin Hood die Untertanen schützen möchte? Eine Verringerung des Renteneckwerts aufgrund der maßgeblichen Lohnentwicklung sehen selbst Sie, wenn ich die Begründung Ihres Antrages richtig lese, als kaum wahrscheinlich an. Das hat in den letzten Wochen auch kein Experte ernsthaft ins Kalkül gezogen. (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!) Woher der Kollege Stiegler seine andersartigen Informationen bezieht, die er noch letzten Sonntag in der ARD verkündet hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Am Dienstag das ist ganz aktuell hat Dr. Rische von der Deutschen Rentenversicherung den Anstieg der Bruttolöhne und -gehälter nur für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit 0,1 Prozent beziffert. Ich betone: Die 1-Euro-Jobs sind in diese Zahl bereits eingerechnet. (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Also herausgerechnet!) Wie der Kollege Kolb frage ich mich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Was motiviert Sie, einen Gesetzentwurf einzubringen, der etwas verhindern soll, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so ohnehin nicht eintritt? Plagt da einige aus der vorhergehenden Regierungskoalition die Angst, bei ihren Reformen übersteuert zu haben? Oder setzen die „Spezialdemokraten“ Traditionen der Regierung Schröder fort? (Ute Kumpf (SPD): Das ist hier keine Wahlkampfveranstaltung, sondern das Parlament, Herr Kollege Schneider!) Bundesminister Müntefering hat beim Vorziehen der Erhöhung des Rentenalters gezeigt, wie es geht: Erst wird die Öffentlichkeit informiert und dann vollzieht es die Fraktion zähneknirschend nach. Das ist wahrlich eine würdige Umsetzung des schröderschen Basta-Prinzips. Da bietet es sich doch an, ein weiteres Merkmal schröderscher Politik zum Einsatz zu bringen: Schwächen der Politik werden durch ein gutes Marketing übertüncht. Ganz im Sinne des orwellschen Neusprechs sagt man nicht: Liebe Rentnerinnen und Rentner, ihr erhaltet 2006 keinen einzigen Cent mehr. Nein, das Vorhaben wird stattdessen so verkauft, dass man den Betroffenen verkündet: Wir verhindern, dass euch in diesem Jahr auch nur ein einziger Cent von eurer Rente weggenommen wird. So klingt das wirklich gleich viel besser. Kompliment an den leider nicht mehr anwesenden Vizekanzler: Er ist der wahre und würdige Nachfolger des letzten „spezialdemokratischen“ Kanzlers. (Beifall bei der LINKEN) Wie dem auch sei, die Fraktion Die Linke kann dem Gesetzentwurf über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte selbstverständlich zustimmen; es könnte schließlich doch irgendwie der schlimmste aller schlimmen Fälle eintreten und insofern stimmen wir Ihnen zu, dass eine verlässliche Rentenhöhe für die Rentenbezieher gegenwärtig von größter Bedeutung ist. Damit wir das nun aber nicht in jedem Jahr wieder neu beschließen müssen und nicht jedes Jahr erneut die Gefahr entsteht, dass es aufgrund der Berechnung der Bruttolöhne zu diesem Worst Case kommt, sollten wir aber eines schleunigst beschließen, nämlich die 1-Euro-Jobs aus der Berechnungsgrundlage für die Rentenanpassung herauszunehmen und die Rentenanpassung auf der Basis der solchermaßen bereinigten Berechnungsgrundlage durchzuführen. Nach den aktuellen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes dämpfen die 1-Euro-Jobs die Entwicklung der Bruttodurchschnittsverdienste in 2005 um 0,8 Prozent. 1-Euro-Jobs sind keine Beschäftigungsverhältnisse. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Für sie wird kein Lohn gezahlt. 1-Euro-Jobs gehören insoweit weder in die Statistik der Bruttolöhne und -gehälter noch in die Beschäftigtenstatistik. Ihre Berücksichtigung hat eine sachlich nicht zu rechtfertigende Minderanpassung der Renten zur Folge. Das Kabinett hat gestern angekündigt, die 1-Euro-Jobs aus ihren längerfristigen Vorausberechnungen zur Rentenentwicklung herausnehmen zu wollen. Wir freuen uns, dass sich die Bundesregierung insoweit unserer Forderung angeschlossen hat. (Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach du liebe Zeit! - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das hatten wir aber schon vorher beredet! Dazu hätten wir Ihren Antrag nicht gebraucht!) Ich glaube, unser Antrag hat an einem Dienstag vorgelegen und Sie haben Ihr Vorhaben am Mittwoch verkündet. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Nachdem Sie schon A gesagt haben, müssen Sie nur noch B sagen und die 1-Euro-Jobs aus der Berechnungsgrundlage für die aktuelle Rentenanpassung herausnehmen. Die Fraktion Die Linke hofft auch in diesem Punkt auf Ihre Lernfähigkeit. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Schneider, nachdem wir hier des Öfteren darüber diskutiert haben, ob die Fraktion Die Linke als PDS bezeichnet werden darf, gehe ich davon aus, dass es ein Versprecher war, als Sie die Sozialdemokraten als „Spezialdemokraten“ bezeichnet haben. Ich gebe das Wort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.


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