s. 17.01.2008

Rede
17.01.2008 – Volker Schneider
Statt Armutsrenten in Würde altern

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die gesetzliche Rentenversicherung war lange Zeit ein erfolgreiches Modell zur Bekämpfung von Altersarmut und zur Sicherung des Lebensstandards im Alter. Lassen Sie mich gleich einleitend feststellen: Es ist eine Schande, wie Sie dieses System an die Wand fahren. Es ist eine Schande, wie Sie das Vertrauen der Bevölkerung in dieses System zunehmend erschüttern. Kommen Sie mir nicht damit, wie ich das heute in der Aktuellen Stunde gehört habe, das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung sei erschüttert, weil meine Fraktion dieses System schlechtrede.

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)

Das Vertrauen zerstört nicht der, der die Fakten benennt. Das Vertrauen zerstört derjenige, der die Fakten schafft, und das ist immer noch Ihr Part, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition,

(Beifall bei der LINKEN)

und das war der Part der rot-grünen Koalition in gründlicher Vorarbeit. Sicher, Sie können sich aktuell noch zurücklehnen und sagen: Die Rentner sind die von Einkommensarmut am wenigsten betroffene Bevölkerungsgruppe.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)

Gerade einmal 2,5 Prozent der über 65-Jährigen beziehen zum Jahresende 2006 die Grundsicherung im Alter. Allerdings ist diese Zahl seit Einführung der Altersgrundsicherung und dem ersten Erhebungszeitpunkt Ende 2003 um sage und schreibe 44 Prozent angestiegen. Altersarmut wird ohne massive Korrekturen weiter stark zunehmen; denn Ihre zerstörerischen Eingriffe in die Rentenformel bei gleichzeitiger und absehbarer Zunahme „gebrochener“ Erwerbsbiografien wirken sich direkt auf das zukünftige Rentenniveau aus.

(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: So ist es!)

Zeiten der Arbeitslosigkeit, Beschäftigung in Mini und Midijobs, Beschäftigung zu Niedrigstlöhnen, dies alles ist Gift für eine armutsfeste Rente. Wenn Sie weiter so selbstzufrieden darüber schwadronieren, was für ein tolles, von drei Säulen getragenes Rentensystem Sie geschaffen haben, statt sich einmal offen und mit kritischen Augen mit Ihrem Reformmurks auseinanderzusetzen, dann werden Sie noch ein böses Erwachen erleben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Löcher, die Sie heute reißen, werden Sie morgen nicht mit einem Federstrich beseitigen können. Das wird Jahre dauern, Jahre, in denen zu viele Menschen in diesem Land von einer Rente werden leben müssen, die kein Leben in Würde ermöglicht.

Dazu ein paar Fakten: Das Sicherungsniveau vor Steuern wird – ausweislich des Rentenversicherungsberichts 2007 der Bundesregierung – von aktuell 51 Prozent bereits bis 2021 auf 46,1 Prozent absinken. Allein das wäre für die Rentenhöhe ein Minus von 9,6 Prozent. Der Eckrentner, also derjenige, der 45 Jahre lang ein Durchschnittsgehalt – für 2007 lag dieses bei 2 450 Euro – bezogen hat, erhielte nach dem heutigen Sicherungsniveau im Westen eine Nettorente vor Steuern von rund 1 062 Euro. 2021 werden es über 100 Euro weniger sein, nämlich 960 Euro.

Dabei unterstellt die Bundesregierung noch immer eine Zahl von 45 Versicherungsjahren. Auch hier wollen Sie die Realitäten einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Im letzten Jahr lag die durchschnittliche Anzahl von Versicherungsjahren bei gerade einmal 37 Jahren. Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Der Eckrentner, mit dem Sie so gerne argumentieren – bei ihm werden 45 Versicherungsjahre unterstellt –, ist schlichtweg ein Phantom. Selbst wenn man unterstellte, dass die Zahl der Versicherungsjahre wieder auf durchschnittlich 40 ansteigt, läge die Nettorente 2021 bei 855 Euro; sie wäre also über 200 Euro geringer. Wir reden hier von Durchschnittsrentnern.

Das ist nur die nominale Einbuße, die Rentner verkraften müssen. Angesichts der aktuellen Inflationsrate bei gleichzeitigen Nullrunden oder allenfalls bescheidenen Erhöhungen der Rente und angesichts des Damoklesschwerts Nachholfaktor müssen Sie eigentlich Albträume hinsichtlich des zu erwartenden Realwerts künftiger Renten haben. Der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnet Ihnen mit teilweise optimistischen Vorannahmen vor, dass 2020 rund 10 Prozent der über 65-Jährigen – das sind rund 2 Millionen Personen in Deutschland – in Armut leben werden.

Was fällt Ihnen dazu ein? Sie legen die Studie „Altersvorsorge in Deutschland“ vor, in der Sie die Versorgungslage in der Zukunft mit den Zahlen von heute auf Basis der Gesetzeslage von gestern, also ohne Einrechnung der Dämpfungsfaktoren – was längst beschlossen worden ist –, berechnen lassen. Das ist ein bisschen so, als würde ich meine Benzinkosten im Jahr 2020 heute mit den Benzinpreisen von 2001 berechnen. Trotz solcher Schönfärberei kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass das Niveau der Altersvorsorge selbst bei denjenigen, die private und betriebliche Altersvorsorge betreiben, unter dem heutigen Rentenniveau liegen wird.

Hören Sie endlich auf, die Probleme schönzureden! Bauen Sie die gesetzliche Rentenversicherung zur Erwerbstätigenversicherung aus, in die alle, auch Abgeordnete, einzahlen! Heben Sie die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise an und perspektivisch auf! Wenn Sie die Rentensteigerungen, die aus diesen zusätzlichen Beträgen resultieren, zunehmend geringer ausfallen lassen, erhalten Sie einen finanziellen Spielraum für einen Solidarausgleich, mit dem typische Lücken in den Rentenbiografien geschlossen werden könnten.

Wir fordern konkret eine Ausweitung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten, von Zeiten der ehrenamtlichen Pflege Angehöriger und von Ausbildungszeiten, höhere Beiträge für Bezieher von ALG II und insbesondere eine Wiederbelebung des Systems der Mindestentgeltpunkte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jawohl, mehr Geld für alle, Herr Schneider!)


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