p. 06.03.2008

06.03.2008 – Volker Schneider

Ohne vernünftige Arbeitsbedingungen an den Universitäten wird "Freiheit" zum Sargdeckel für Forschung und Wissenschaft


Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es durch einen Zwischenruf schon angedeutet: Ganz so breit ist die Übereinstimmung zwischen Opposition und Regierung nun doch nicht.

Worum geht es? Die Bundesregierung hat im August 2007 im Rahmen ihrer Meseberger Beschlüsse erklärt, dass sie, um die Rahmenbedingungen für Experten, Spezialisten und Nachwuchskräfte attraktiv zu machen, mehr Flexibilität für Forschungseinrichtungen und Hochschulen schaffen will. Weil diese Bundesregierung ähnlich wie ihre Vorgängerregierung gerne mit attraktiven Worthülsen arbeitet, hat sie sich nicht gescheut, eine kleine Anleihe in Nordrhein-Westfalen zu nehmen und hat ihr Projekt mit dem Etikett „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ versehen. „Wissenschaft“ ist gut, „Freiheit“ noch besser, ein „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ zu kreieren das Allerbeste.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht gerade begeistert darüber waren, wie kess die Große Koalition Ihr Anliegen übernommen hat.

(Cornelia Pieper [FDP]: Es muss vorangehen in Deutschland!)

Nun ist die Bundesregierung in Bezug auf Ankündigungen stets mit flotten Schritten unterwegs; bei der Umsetzung präferiert sie bekanntermaßen Trippelschritte. Das wiederum gibt der FDP die Möglichkeit, ihrerseits mit einem Antrag für die Einführung eines Wissenschaftsfreiheitsgesetzes vorzupreschen. Weil Sie von der FDP auf Bundesebene noch keine eigenen Vorschläge erarbeitet haben, schreiben Sie der Einfachheit halber nieder, was der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herr Kleiner, und seine Generalsekretärin, Frau Dzwonnek, im Bildungsausschuss vorgetragen haben. Das wiederum findet sich im sogenannten Barrierepapier der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren wieder.

(Cornelia Pieper [FDP]: Freiheit für die Wissenschaft!)

Sie haben diese Forderungen eins zu eins übernommen – wahrlich keine große Leistung, eher ein Dokument überzeugender Lobbyarbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Cornelia Pieper [FDP]: Im Gegensatz zu Ihnen hören wir auf die Wissenschaft!)

Zu den Inhalten Ihres Antrags. Sie gehen in Ihrer Analyse davon aus, dass die Trennung der Aufgaben der Universitäten und der öffentlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht unproblematisch ist und deshalb neue Wege zu einer engen Wissenschafts- und Forschungskooperation aller Akteure zu beschreiten sind.

Aus Sicht der Linken ist dem insoweit zuzustimmen, als die Trennung von außeruniversitärer und universitärer Forschung mittlerweile zu einem Missverhältnis in der Verteilung der Mittel geführt hat. Während die Hochschulen trotz steigender Studierendenzahl und steigenden Qualifikationsanforderungen mit stagnierenden Mitteln zu kämpfen haben, werden die Mittel für die ohnehin gut ausgestatteten außeruniversitären Forschungseinrichtungen durch den Pakt für Forschung und Innovation jedes Jahr um 3 Prozent erhöht. Mittlerweile erhalten die außeruniversitären Institute fast so viel an Mitteln wie die Hochschulen für den Forschungsbereich. Die Linke hält dies nicht für sinnvoll.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir vertreten die Auffassung, dass neue Wege einer engeren Kooperation nur ein erster Schritt sein können. Mittelfristig ist die historisch bedingte Versäulung jedoch zu überwinden.

Weiter gehen Sie in Ihrem Antrag – typisch liberal, wie ich meine – davon aus, dass sich die Forschungs- und Entwicklungspolitik auf Felder einer möglichen wirtschaftlichen Verwertung konzentrieren muss. Wir als Linke sagen Ihnen dazu deutlich: Wer die Forschungsförderung nur noch auf verwertungsnahe Bereiche konzentrieren will, der schafft keine Wissenschaftsfreiheit, sondern beerdigt sie.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Hochschulen und Forschungsinstitute haben die Aufgabe, je nach Profil mehr oder weniger zweckfreie wissenschaftliche Erkenntnisse auf allen gesellschaftlich relevanten Gebieten zu erarbeiten, kontrovers zu diskutieren und der Gesellschaft und ihren Mitgliedern zugänglich zu machen. Bereits heute ist der Einfluss wissenschaftsfremder Instanzen über private Drittmittel, Auftragsforschung, Stiftungsprofessuren etc. sehr hoch.

Autonomie wollen Sie stattdessen am liebsten dadurch schaffen, dass Sie nicht unproblematische Forschungsbereiche wie Kerntechnik, Sicherheits- und Endlagerforschung, Biotechnologie und Stammzellforschung jeglicher gesellschaftlichen Kontrolle entziehen wollen. Auch hier sagen wir als Linke deutlich: Die Freiheit der Wissenschaft kann und darf nicht durch unkontrollierte Eingriffe in Grund- und Menschenrechte durchgesetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Wissenschaft muss sich auf dem Boden der Menschenrechte und des Grundgesetzes bewegen. Das nicht im Blick zu behalten wäre nichts anderes als ein unverantwortlicher und ungezügelter Liberalismus.

(Cornelia Pieper [FDP]: Wer sagt das denn?)

– Lesen Sie die einleitende Analyse Ihres eigenen Antrages!

Leider kann ich nur auf einige Aspekte Ihres Forderungsteils eingehen. Wie Sie die Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems dadurch steigern wollen, dass Sie die Verwendung öffentlicher Gelder in diesem Bereich einer öffentlichen Kontrolle entziehen wollen, ist schon bemerkenswert. So viel Liberalität würden wir uns auch gegenüber den sozial Schwachen – beispielsweise ALG-II-Beziehern – wünschen.

Wir als Linke sagen an dieser Stelle ganz klar: Die Einbringung solcher Ressourcen in gemeinsame Kooperationen mit anderen Einrichtungen oder gar Wirtschaftsunternehmen bedarf selbstverständlich der öffentlichen Kontrolle.

Im Hinblick auf Firmengründungen sollte Ihnen wenigstens bekannt sein, dass die Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an privatwirtschaftlichen Firmen häufig zur Vernachlässigung ihrer Kernaufgaben führt. Sollte nun in großem Maßstab die Unternehmensbeteiligung Aufgabe der gesamten Einrichtung werden, entstünden öffentlich-private Partnerschaften mit den von uns immer wieder kritisierten Folgen wie Intransparenz, ungeklärte Fragen geistiger Eigentumsrechte und daraus resultierend die Sozialisierung anfallender Kosten bei gleichzeitiger Privatisierung anfallender Gewinne.

Ein besonderes Bonbon sind Ihre Ausführungen zu einem Wissenschaftstarifvertrag. Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, dass solche Tarifverträge im Rahmen der Tarifautonomie mit Gewerkschaften ausgehandelt werden.

(Cornelia Pieper [FDP]: Was ist damit?)

Insoweit würde es nicht schaden, einen Blick darauf zu richten, was derzeit von den betroffenen Gewerkschaften Verdi und GEW gefordert wird, bevor Sie exorbitante Gehälter und zusätzliche Sozialleistungen für Spitzenkräfte fordern. Mir scheint, dass Ihnen ein wenig der Blick für die Realitäten der Beschäftigten an Universitäten fehlt.

Werfen Sie einen Blick auf die Exzellenzhochburg Bayern! Die Pressestelle der Universität Bayreuth schreibt – ich zitiere–:

Über 60 Prozent der Forschung und Lehre an den Universitäten werden von wissenschaftlichen Mitarbeitern erbracht, viele von diesen befinden sich in der Qualifikationsphase für die Wissenschaftlerlaufbahn. Ihre Entlohnung aber weist noch schwerwiegendere Defizite als die der Professoren auf. Gegenwärtige Praxis – in Bayern – ist, dass Wissenschaftler mit erfolgreich abgeschlossenem Studium weit überwiegend auf halben Stellen promovieren – dabei jedoch mindestens 50 Arbeitsstunden pro Woche tätig sind. Sie erhalten in der Eingangsstufe E13/1 des neuen Tarifsystems der Länder (TVL) brutto 1.450 Euro und somit umgerechnet weniger als der tariflich festgelegte Mindeststundenlohn im westdeutschen Reinigungsgewerbe. So weit die Universität Bayreuth.

Angesichts solcher Verhältnisse ist es doch nicht mehr als verständlich, dass Gewerkschaften zunächst einmal Lösungen für die breite Masse der Arbeitenehmer anstreben, bevor sie auch nur bereit sind, über die Vergütung von Spitzenkräften zu reden, zumal angesichts gedeckelter Haushalte höhere Verdienste in der Spitze nur durch eine Ausdünnung in der Breite realisiert werden könnten. Bei einem Verdienst von 1450 Euro sehe ich diesbezüglich keine Einsparmöglichkeiten. Bevor Sie also auch nur auf die Idee kommen könnten, Ihre Spitzenkräfte zu beglücken, müssen Sie deutlich mehr Geld in das System pumpen, um die Defizite in der Breite zu beseitigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch eine weitere Forderung aufgreifen, das Punktesystem für Einwanderer. Die Linke steht Vorschlägen positiv gegenüber, mit denen eine geregelte Zuwanderung ermöglicht werden kann. Ein System, wie es die CDU/CSU bevorzugt, das sich ausschließlich am Einkommen orientiert, lehnen wir ab. Insoweit sind die Vorschläge der FDP durchaus ein Fortschritt, weil hier weitere Kriterien berücksichtigt werden sollen. Dennoch können wir nicht zustimmen, dass Zuwanderung nur unter dem Blickwinkel von nationalstaatlichen und wirtschaftlichen Interessen beurteilt wird. Eine Einwanderungspolitik, die Menschen auf Verwertungsgrößen reduziert, lehnt die Linke ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem muss im Blickfeld bleiben, dass der Import von Fachkräften keinesfalls zulasten der Herkunftsländer gehen darf. Vieles von dem, was sich zwischenzeitlich global abspielt, kann nur noch als Bildungsimperialismus bezeichnet werden.

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Oh Gott!)

Fazit: Ich sehe wenig Chancen, dass meine Fraktion diesem FDP-Antrag im weiteren Verfahren wird zustimmen können.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Cornelia Pieper [FDP]: Das ist eine Auszeichnung! – Jürgen Koppelin [FDP]: Das adelt unseren Antrag!)

Ich komme zu dem Antrag der Grünen. Die Auffassung, dass Transparenz und Gemeinnutzen ebenso wie die Gleichstellung wichtige Reformziele in der Wissenschaftspolitik sind, teilen wir. Nur ein kleiner Hinweis zum letzten Punkt: Deutschland ist nicht mehr so neoliberal, dass man Gleichstellung nur unter dem Aspekt von Effizienz- und Innovationsgewinn betrachten darf. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, man darf wieder den Aspekt der Gerechtigkeit betonen, und man darf auch auf das Grundgesetz verweisen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit großem Interesse haben wir gelesen, dass die Grünen die Autonomie der Hochschulen mit verstärkter Mitbestimmung einrahmen wollen. Das sieht auch die Linke als sinnvoll an. Leider vermissen wir in Ihrem Antrag jedwede Konkretisierung zu diesem Punkt. Die weiteren Forderungen der Grünen sind im wahrsten Sinne des Wortes durchaus diskussionswürdig, positiv wie negativ. Die Vorstellungen zur Gleichstellungspolitik erscheinen uns noch unausgegoren. Wo gefordert wird, genuine Aufgaben unternehmerischer Forschung und Entwicklung staatlich direkt zu subventionieren, lehnen wir das als Linke entschieden ab. Den Forderungen zum Urheberrecht dagegen können wir uneingeschränkt zustimmen.

Auch die Grünen fordern einen Wissenschaftstarifvertrag. Dabei begrüßen wir als Linke insbesondere, dass die Grünen davon ausgehen, dass im Mittelpunkt des Arbeitsrechts in der Wissenschaft das unbefristete Arbeitsverhältnis stehen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber Sie hätten etwas dazu sagen müssen, a) wie Sie das finanzieren wollen und b) dass dann unbedingt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz abgeschafft werden muss.

(Uwe Barth [FDP]: Das ist ja etwas ganz Neues! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie sich plötzlich um die Finanzierung kümmern, ist etwas ganz Neues!)

– Lieber Kollege Gehring, wir sagen an dieser Stelle, dass man Geld in das System pumpen muss. Sie aber verschweigen das. Daher frage ich mich, wie Sie das umsetzen wollen.

(Beifall bei der LINKEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gegenfinanziert!)

Ich wiederhole, dass ein Wissenschaftstarifvertrag bzw. wissenschaftsspezifische Regelungen im TVöD aus Sicht der Linken in erster Linie zur sozialen Absicherung der zunehmend prekär Beschäftigten, besonders der Lehrbeauftragten, Postdoktoranden, studentischen Beschäftigten, Promovierenden und des sonstigen Mittelbaus, führen müssen und nicht zur Zahlung exorbitanter Prämien an wenige. Dieser Wissenschaftstarifvertrag muss bundesweit einheitlich sein, damit die Zersplitterung im Tarifrecht für die Wissenschaft überwunden werden kann und Mobilität möglich ist.

Ein letzter Punkt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nein, Herr Kollege Schneider, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Ein allerletzter Satz.

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Herr Schneider, das ist ja nicht mehr zu ertragen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, nur auf einer breiten Basis werden Sie Spitzenkräfte bekommen. Wenn schon die jungen Wissenschaftler abwandern, dann haben Sie ein Problem.

(Cornelia Pieper [FDP]: Fragen Sie mal, warum!)

Danke schön

(Beifall bei der LINKEN – Cornelia Pieper [FDP]: Ein Glück, es ist vorbei!)


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