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Rede
05.07.2007 – Volker Schneider
Keine Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Unfallversicherung

Herr/Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es war absehbar. Und doch war es ein langer, qualvoller Prozess bis das Bundesarbeitsministerium am Mittwoch endlich bekannt gab, was die Spatzen längstens von den Dächern pfiffen: Die von der Bundesregierung geplante Reform der gesetzlichen Unfallversicherung liegt wegen koalitionsinterner Differenzen vorläufig auf Eis. Und wenn der Sprecher des Arbeitsministeriums diesen für die Koalition unangenehmen Sachverhalt zu beschönigen versucht, in dem er davon spricht, es habe noch nicht einmal einen Referentenentwurf gegeben, huscht einem schon ein Lächeln über das Gesicht. Ja es gab keinen Referentenentwurf, aber das hatte ja auch niemand behauptet. Dafür gab es einen Arbeitsentwurf und bei dessen Qualität habe ich jedes Verständnis dafür, dass das Ministerium versucht, dessen Existenz zu verschweigen.

Mit der groß angekündigten Reform wird es erst einmal nichts. Und das ist gut so. Selten ist in einem Projekt Gründlichkeit und Sorgfalt so der Schnelligkeit geopfert worden. Der Verdacht drängt sich auf, dass sie das Thema aus der Landtagswahl 2008 heraushalten wollten. Wer will schon höchst unpopuläre Kürzungen vor seinen Wählern rechtfertigen müssen? Ein unrealistischer und aus politischen Erwägungen diktierter knapper Zeitplan, war ihnen wichtiger als Qualität und Gründlichkeit.

Eine gründliche Beratung in den Gremien des Deutschen Bundestages wäre auch nicht gewährleistet gewesen. „Lernende Gesetzgebung“ nennen sie das ja immer wieder, wenn sie ihren handwerklichen Murks schon nach kürzester Zeit „nacharbeiten“ müssen. Ein Systemwechsel, wie sie ihn anstreben, bedarf aber angesichts der besonderen Tragweite eine gründliche Diskussion mit Fachexperten der Unfallversicherung und der Sozialpartner.

Fragt sich nur, ob Herr Staatssekretär Tiemann überhaupt fähig ist, einen solchen Dialog zu führen. Aus den Treffen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe war hinter vorgehaltener Hand viel Kritik am Auftreten des Herrn Staatssekretärs zu hören. Nassforsches Auftreten ersetzt nicht fehlende Qualität des Arbeitsentwurfs Herr Staatssekretär. Wer so handelt, der trägt die Ver-antwortung für den Totalschaden dieses Reformversuchs. Herr Tiemann, nehmen sie ihren Hut und ihren unausgegorenen Reformentwurf gleich mit!

Aber worum geht es eigentlich bei dem von Ihnen verursachten Chaos? Schauen wir doch noch einmal in den Koalitionsvertrag: „Wesentliche Ziele sind die Straffung der Organisation, die Schaffung leistungsfähiger Unfallversicherungsträger und ein zielgenaueres Leistungs-recht.“ Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden.

Bei dem was das Arbeitsministerium bisher vorgelegt hat, bekommt man aber eher den Eindruck, dass gerade die geplante Leistungsrechtsreform nicht besser, sondern nur anders ungerecht ausgestaltet wurde. Was vordergründig als zielgenaues Konzept angepriesen wird, läuft in Wirklichkeit auf einen Raubzug gegen verletzte und erkrankte Menschen hinaus: Durch einen Arbeitsunfall verursachte Einkommenseinbußen von bis zu 10% werden grundsätzlich nicht entschädigt. Den Verlust eines Daumens, extreme Lärmschwerhörigkeit oder chronische Hauterkrankungen wollen sie künftig mit einer monatlichen Pauschale von 50 Euro abfinden. Der eingetretene Erwerbsschaden wird dabei nicht berücksichtigt.

Die vorgesehenen Veränderungen beim Jahresarbeitsverdienst als zentraler Bezugsgröße im Unfallentschädigungsrecht werden für Geringverdienende und Alleinerziehende ganz er-hebliche negative Auswirkungen haben. Künftig wird es für die Versicherten schwieriger werden, die durch einen Unfall verursachten gesundheitlichen Spätfolgen nachzuweisen. Die dann notwendigen Neuberechnungen werden so unnötig verkompliziert. Dies kann nicht im Sinne der Versicherten aber auch nicht der Unfallversicherungsträger sein.

Fazit: Die Trennung von Erwerbs- und Gesundheitsschaden führt weder zu mehr Gerechtigkeit noch zu einer stärkeren Zielgenauigkeit. Mit den jetzt zurückgezogenen Reformplänen hätten drei von vier Arbeitnehmern, die einen Arbeitsunfall erleiden, netto weniger Geld in ihren Taschen gehabt. Wieder einmal sägt der angeblich sozialdemokratische Arbeitsminister an den Fundamenten unseres Sozialversicherungssystems. Die wenigen Verbesserungen, wie etwa für schwer Verletzte, gleichen dies nicht aus. Sie ließen sich bereits jetzt im geltenden Leistungsrecht verwirklichen.

Weniger strittig ist die Frage der Organisationsreform. Auch wenn bei den Beteiligten eine weitestgehende Übereinstimmung der Reformziele im Organisationsrecht besteht, erscheint für uns der geforderte Einspareffekt von 20% allein bei den Verwaltungskosten allerdings als völlig überzogen. Was die Zahl und Frist der geplanten Fusionen anbelangt, staunt man schon, was sie den gewerblichen Berufsgenossenschaften abverlangen wollen. Sie sollen die Trägerzahl drastisch reduzieren, gleichzeitig machen Bund und Länder keinerlei Anstalten, dies in ihrem Bereich ebenfalls zu tun. Die öffentlichen Träger würden besser mit gutem Beispiel vorangehen.

Zudem kritisieren wir die Pläne der Bundesregierung, den neuen Spitzenverband unter die Rechtsaufsicht des Arbeitsministeriums zu stellen. Was wir nicht brauchen, ist ein weiterer Verband, der am Gängelband des Bundes gehalten wird. Es kann doch nicht sein, dass die Selbstverwaltung die Prozesse selbst gestalten soll und dann zur Belohnung unter die Rechtsaufsicht des Arbeitsministeriums gestellt wird!

Statt ihrer unverantwortlichen Schnellschüsse fordert DIE LINKE. mit ihrem Antrag, die Reform des Organisationsrechts vom Leistungsrecht vollständig abzukoppeln. Angesichts der Komplexität des Sachverhaltes, ist eine angemessene Zeitspanne einzuplanen sowie intensive Beratungen mit allen betroffenen Akteuren zu führen. Bei der Reform ist darauf zu verzichten, eine feste Zahl an Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als Zielgröße festzuschreiben. Die Berufsgenossenschaften wissen selbst am besten, wo es Sinn macht, über weitere Zusammenschlüsse nachzudenken. Der Eingriff der Politik in die Selbstverwaltung wirkt hier nur kontraproduktiv. Machen sie es sich einfach und erkennen sie den neuen Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung als autonomen Dachverband der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung an. Bei der Reform des Leistungsrechts muss der Bedarf der Betroffenen und nicht der Wille zur Einsparung handlungsleitend sein. Nicht zuletzt fordern wir substanzielle Verbesserungen bei der Anerkennung von Berufskrankheiten und eine Absenkung der Hürden bei der Anerkennung von Berufskrankheiten.

Zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nur Eines sagen: Wie sie hier ungefiltert Positionen der Arbeitgeber übernehmen, das hätte die FDP nicht besser machen können.

Abschließend ein freundlicher Rat an den angeblich roten Teil der Koalition: Verlieren sie nicht weiteres sozialpolitisches Vertrauen und stoppen sie diese Kamikazereform. Qualität und Gründlichkeit muss vor Schnelligkeit gehen. Überarbeiten sie ihren Entwurf mit aller Sorgfalt, machen sie kein Einspargesetz daraus, dann wird ihnen das nächste Mal eine solch peinliche Debatte erspart bleiben. Danke.