Rede
11.10.2007 – Volker Schneider
Weitere Förderung der betrieblichen Altersvorsorge ist kontraproduktiv
In dem im März 2006 von der Bundesregierung vorgelegten Alterssicherungsbericht habe ich zur Frage der weiteren Förderung der Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung auf Seite 208 eine interessante Passage gefunden. Darin stellt die Bundesregierung zur sozial-abgabenfreien Entgeltumwandlung folgendes fest:
„Bei gleich bleibender Dynamik wie in den letzten Jahren dürfte die Zahl der "Entgelt-umwandler" bis 2008 noch erheblich anwachsen. Bei einer unbefristeten Beitragsfreistellung käme es folglich zu einer deutlichen Erosion auf der Einnahmeseite der Sozialversicherung mit Druck auf die Beitragssätze. Es ist aber ausdrückliches Ziel der Bundesregierung, die Lohnnebenkosten möglichst zu senken. Außerdem ist zu bedenken, dass eine dauerhafte Förderung in der Sozialversicherung zu ungerechten Verteilungseffekten führt: Die aufgrund der Entgeltumwandlung in der Rentenversicherung fehlenden Beiträge führen dazu, dass die Renten auch derjenigen Versicherten niedriger ausfallen, die während ihres Erwerbslebens keine Entgeltumwandlung betrieben haben (z.B. Geringverdiener) bzw. keine Entgelt-umwandlung betreiben konnten (Rentner).“
Dem wäre fast nichts mehr hinzuzufügen, zumal auch der Bundesarbeitsminister noch am 20. März diesen Jahres gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung großspurig erklärte: „Wir verhalten uns gesetzestreu, denn wir haben bei der Rentenreform 2001 angekündigt, dass im Dezember 2008 die Sozialabgabenfreiheit für die Einzahlung per Entgelt-umwandlung enden wird." Und weiter: „Voraussetzung dafür sei, dass die neue Regelung nicht zu Lasten der Sozialkassen gehe."
Nun ist Herr Müntefering für plötzliche Sinneswandel leider nicht gerade unbekannt. Insbesondere an Montagen – ich erinnere mich da an die Vorziehung der Rente mit 67 um 6 Jahre – überrascht er auch schon mal die eigenen Fachpolitiker mit neuen und nicht ab-gesprochenen Einfällen. Da frage ich mich, ob ihm solche Ideen bevorzugt sonntags in der Badewanne einfallen. Jedenfalls diktierte er nur drei Monate später, am 25.6., einem Journalisten des Handelsblatts in den Notizblock: „Ich habe die Bedingungen für die Förderung gründlich geprüft. Ich meine, wir sollten uns für sie entscheiden." Gründlich ge-prüft? Wirklich? Da muss man gar nicht Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Kann nich´ hinhauen, um Herrn Münteferings eigene Worte mal aufzugreifen.
Die unbefristete Förderung der betrieblichen Altersvorsorge kann nun wirklich nicht hin-hauen. Nicht für die Rentenversicherung, nicht für die Arbeitslosenversicherung, nicht für die Pflegeversicherung, nicht für die Krankenversicherung und schon gar nicht für die Ver-sicherten und Rentnerinnen und Rentner in unserem Land!
Da wundert es auch nicht, dass im Alterssicherungsbericht ebenfalls zu lesen ist, dass rund 53 Prozent der Befragten auf die Frage, warum sie noch keine betriebliche Altersvorsorge abgeschlossen haben, angeben, dass sie dem Staat oder der Regierung nicht trauen, weil sich die Gesetze so oft ändern. Und ich kann nur sagen: Zu Recht!
Zwar wird gerade die Entfristung – also die Änderung der Gesetzesgrundlage – gelobt, weil hierdurch nun „Verlässlichkeit“ geschaffen werde, doch in Hinblick auf die gesetzliche Rentenversicherung sind derartige Forderungen nach Verlässlichkeit nicht zu hören. Dort werden tiefgreifende Änderungen beschlossen, die nun das Argument für so genannte „kompensierende“ Maßnahmen liefern.
Aber gerade das Argument der „kompensierenden“ Maßnahmen ist bei der sozialabgaben-freien Entgeltumwandlung nicht aufrecht zu erhalten. Denn die sozialabgabenfreie Entgelt-umwandlung führt bei allen Versicherten zu einer zusätzlichen Versorgungslücke im Alter, also auch bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Entgeltumwandlung im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge betreiben.
In ihrer Studie zur Verteilungswirkung der Entgeltumwandlung stellt die Rentenversicherung zu Recht fest, dass gerade bei Frauen die Beitragsfreiheit schon bei Verträgen ab dem 30. Lebensjahr zu niedrigeren Alterseinkünften führen. Und: Wer älter als 40 Jahre ist, muss sich ebenfalls auf geringere Einkünfte im Alter einstellen. Von einem so genannten „Nullsummen-spiel“, wie von der Bundesregierung gerne behauptet wird, kann also keine Rede sein!
Gleichzeitig schmälert die Entgeltumwandlung nicht nur die ohnehin kläglichen Renten-anpassungen der heutigen Rentnerinnen und Rentner, sondern auch die der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich auf den Betriebsrentenkuhhandel einlassen. Niedrigere Rentenanpassungen und ein geringeres Rentenennniveau, treffen aber vor allem, Erwerbslose, Selbstständige oder Geringverdiener, die ohnehin rechtlich oder faktisch von der sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung keinen Gebrauch machen können bzw. dürfen. Damit verschärfen sie nicht nur die Einkommensungleichheit im Alter, weil gerade diejenigen mit vergleichsweise hohen Ansprüchen aus der GVR aufgrund ihres höheren Einkommens auch die Entgeltumwandlung stärker nutzen, sie befördern auch noch zu Gunsten eines kleinen Teils von Privilegierten bewusst das Risiko steigender Altersarmut von Millionen von Menschen.
Selbst der Kollege Brauksiepe von der CDU hat bei der Sozialabgabenfreiheit seine Be-denken angemeldet. So war im Tagesspiegel vom 2.7.2007 zu lesen, dass „die Tatsache, dass eine Förderung zugleich das allgemeine Rentenniveau der kommenden Jahre senkt, ein gewichtiges Gegenargument“ sei. Und weiter: „Je stärker wir die betriebliche Vorsorge fördern, desto geringer wird auf der anderen Seite das gesetzliche Rentenniveau ausfallen, und umgekehrt.“ Da liegt der Kollege Brauksiepe ausnahmsweise vollkommen richtig.
Wenn Sie hier also der Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge das Wort reden, können Sie eigentlich nur die Attraktivität für die Versicherungswirtschaft meinen, die mit Vertrags-abschlüssen für Betriebsrenten gutes Geld verdient oder Sie können für die Arbeitgeber sprechen, denen Sie auf Kosten der Solidargemeinschaft den Beitrag zur Rentenver-sicherung niedrig halten.
Damit aber nicht genug. Viel perfider ist die eigentliche Strategie, die hinter der Verlängerung der sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung steckt: Die Höhe der Beitragsausfälle führt nicht nur in der Rentenversicherung zu Beitragsausfällen, sondern auch, wie Sie im Alters-sicherungsbericht richtig festgestellt haben in allen anderen sozialen Sicherungssystemen zu weiteren Belastungen und somit zu höheren Beitragssätzen.
Die Bundesregierung selbst spricht in ihrem Gesetzesentwurf von Beitragsausfällen von bis-her 2,2 bis 2,4 Mrd. Euro für die Sozialkassen. Allein hiervon entfallen 1,2 Mrd. Euro auf die gesetzliche Rentenversicherung, welche die Sozialabgabenfreiheit bei der betrieblichen Altersvorsorge in den letzten Jahren verursacht hat. Zudem gehen Sie ohne dabei rot zu werden von einem jährlichen Zuwachs der Beitragsausfälle in Höhe von 200 Millionen Euro aus. Sind Sie nicht mit dem Ziel angetreten, die sog. „Lohnnebenkosten“ zu senken? Ein Blick in ihren Koalitionsvertrag sollte da genügen.
Die für die Kranken- und Pflegeversicherung verantwortliche Ministerin, Kollegin Ulla Schmidt, hat ja bereits zusätzliche Steuermittel als Kompensation für die Beitragsausfälle eingefordert. Die Haushälter der Koalition werden es mit Schrecken vernommen haben.
Der Bremer Ökonom und ehemalige Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Winfried Schmähl, kommt in seiner Studie deshalb zum Ergebnis, dass die Entgelt-umwandlung zu beitragssatzsteigernden Effekten von 0,4 bis 0,8 Prozentpunkten führt. Damit verjubeln Sie eben mal so die 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte Einsparung, die Ihnen ge-reicht haben, um gegen alle Widerstände aus der Bevölkerung die Rente mit 67 durchzu-setzen.
Fazit Ihres Gesetzentwurfs ist aus unserer Sicht, dass die Weiterführung der beitragsfreien Entgeltumwandlung über das Jahr 2008 hinaus aus sozialpolitischen und systematischen Gründen falsch und in keiner Weise zu rechtfertigen ist. Die sozialabgabenfreie Entgelt-umwandlung führt zu steigenden Beitragssätzen in der gesetzlichen Rentenversicherung, zu finanziellen Mehrbelastungen in der Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung, zu geringeren Rentenleistungen für alle Versicherten, benachteiligt Geringverdiener – und hier insbesondere Frauen und Erwerbslose.
Gerade die Fachpolitiker der Großen Koalition wissen dies natürlich allzu gut. Beweisen Sie deshalb einmal Rückrat und folgen Sie Ihrem Fachwissen, statt zähneknirschend von oben nach unten durchgestellte Konzepte abzusegnen. Die Legislative sitzt in diesem Haus. Nehmen Sie die Gewaltenteilung einmal ernst!
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