Rede
30.11.2006 – Volker Schneider
Aktive Arbeitsmarkpolitik statt Beitragssatzsenkungen!
Senkung der Beiträge hilft den Betroffenen kein Stück weiter.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 0,2 Prozentpunkte oder 0,4 Prozentpunkte rauf bei der Rentenversicherung, 0 Prozentpunkte oder 0,3 Prozentpunkte runter bei der Arbeitslosenversicherung, das waren die zentralen Diskussions- und Streitpunkte in unserer heutigen Diskussion.
(Anton Schaaf [SPD]: 2 Prozentpunkte oder 2,3 Prozentpunkte!)
- Das war schon etwas vorher, lieber Kollege Schaaf. - Das waren die bisherigen Beratungen in Plenum, Ausschuss und Anhörungen: Null-Komma-Beträge, und doch hatte man teilweise den Eindruck, es würden die für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland entscheidenden Debatten ausgetragen.
Die Annahme, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten in dem hier diskutierten Umfang wesentliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit auf die Beschäftigungssituation hat, gehört - schöne Grüße an Herrn Rüttgers! - in den Zyklus der Lebenslügen. Arbeitnehmer, die sich Gedanken um ihre Rente machen oder die sich vor Arbeitslosigkeit fürchten, hätte bei unseren Diskussionen wahrscheinlich das Gefühl beschlichen, im falschen Film zu sitzen. Die Bereitschaft, in eine Versicherung einzuzahlen - das gilt auch für die Sozialversicherung -, und die Frage, wie viel man zu zahlen bereit ist, sind doch auch davon abhängig, was man im Schadensfall von dieser Versicherung erwarten darf. Fragen Sie sich doch einmal, mit wie viel Zustimmung man unter den pflichtversicherten Kunden der Renten- oder Arbeitslosenversicherung rechnen darf! Oder umgekehrt: Meinen Sie nicht, es ist einem Arbeitnehmer relativ egal, ob er nun 19,5 oder 19,7 oder 19,9 Prozent an die Rentenversicherung zahlt, wenn er dafür das Gefühl hat, seinen Lebensabend unter halbwegs gesicherten Bedingungen gestalten zu können?
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ja ein Freibrief für weitere Beitragserhöhungen, den Sie da ausstellen!)
- Erwarten Sie von der Linken etwas anderes?
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben im Ausschuss signalisiert, dass wir uns mit einer Anhebung des Rentenversicherungsbeitrags auf 19,9 Prozent hätten einverstanden erklären können. Doch missverstehen Sie das nicht als grundsätzliche Zustimmung zu Ihrer Rentenpolitik! Denn es ist uns nicht entgangen - Frau Schewe-Gerigk, passen Sie jetzt auf; das ist, glaube ich, auch Ihr Anliegen -,
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Linke ist immer etwas regierungsgläubig!)
dass die Anhebung des Beitragssatzes entbehrlich gewesen wäre, hätte die Bundesregierung nicht
die Beitragszahlung für Empfänger von Arbeitslosengeld II halbiert.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wünschen uns im Interesse der Beitragszahler wieder mehr Kontinuität in der Rentenversicherung. Dann macht es keinen Sinn, den Beitrag so auf Kante zu nähen, wie sich das die Grünen und die FDP wünschen.
(Anton Schaaf [SPD]: Da hat er Recht!)
Derzeit wird insbesondere in den Reihen der CDU/ CSU - wir haben es eben aber auch von Staatssekretär Thönnes gehört - fast schon penetrant betont, dass der Sozialbeirat die mittelfristigen ökonomischen Grundannahmen ausdrücklich als realistisch lobt. Dazu eine Anmerkung: Ich wünsche Ihnen wirklich, dass Ihre Annahmen dieses Mal mehr der Realität entsprechen, als wir das von der Vergangenheit gewohnt sind. Ich wünsche mir das insbesondere deshalb, weil wir wieder mehr Verlässlichkeit in der Rentenversicherung brauchen. Mit dem Vertrauen der Menschen in die Zukunft der Rente ist die Politik viel zu lange viel zu fahrlässig umgegangen.
(Beifall bei der LINKEN)
Nicht alle teilen Ihre Zuversicht so, wie der Sozialbeirat das tut. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge nennt den Bericht realitätsfern und kritisiert insbesondere die Annahmen zur künftigen Lohnentwicklung.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Deutsche Institut für Altersvorsorge ist die Deutsche Bank! Wussten Sie das?)
Bei unterstellten Lohnsteigerungen von im Mittel 2,5 Prozent muss man wirklich keine Kassandra sein, um eine gewisse Skepsis an den Tag legen zu können.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Allerdings!)
Wie dem auch sei, in die Verlegenheit, Ihnen halbherzig zustimmen zu müssen, haben Sie uns gar nicht erst gebracht, weil Sie die Arbeitslosenversicherung nun wirklich bis an die Grenze fahren. Dabei behaupten Sie auch noch: Die Beitragssatzsenkung führt zu keinen Einschränkungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die aktive Arbeitsmarktförderung wird auf hohem Niveau stabilisiert. Dies wird auch in den Folgejahren der Fall ein. - Herr Staatssekretär, das haben einige Sachverständige in der Anhörung durchaus anders gesehen.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Einer!)
Wir haben das Gefühl, dass sich einige der Arbeitslosen angesichts ihrer realen Situation schlicht verhöhnt vorkommen, weil sie nicht verstehen können, dass auf der einen Seite Überschüsse erzielt und deshalb die Beiträge gesenkt werden, während ihnen auf der anderen Seite oft nicht adäquat geholfen wird.
Überschüsse müssen denen zurückgegeben werden, die Beiträge gezahlt haben. Zusätzliche arbeitsmarktpolitische Leistungen und die längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I auch, ohne dass dabei Ältere gegen Jüngere ausgespielt werden, hätten den Betroffenen mehr geholfen als eine Senkung der Beiträge, die denen, die zwischenzeitlich arbeitslos geworden sind, definitiv nicht hilft. Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
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