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Rede
10.10.2007 – Volker Schneider
Agenda 2010 gehört auf den Müllhaufen der Geschichte!

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der alte Satz der Öffentlichkeitsarbeiter, dass selbst schlechte Nachrichten in irgendeiner Form gute Nachrichten sind, Wahrheit hat, dann kann die SPD momentan wahrhaftig die Sektkorken knallen lassen. Seit Tagen ist der Pressespiegel meiner Fraktion voll mit Berichten über Sozialdemokraten, die mal stolz auf die Agenda 2010 und mal stolz auf ihren Vorsitzenden sind. Bundesminister Müntefering er ist heute leider nicht anwesend; aber wir haben eben gehört, dass ALG I in der Kabinettssitzung nicht einmal ein Thema war, also ist es nicht verwunderlich ist wahlweise im Streit mit seinem Vorsitzenden, auf der Suche nach einem Kompromiss oder kurz vor dem Rücktritt. Die SPD sieht sich einerseits auf dem Weg zu neuen Ufern, während andere in derselben Partei das Ende der ach so erfolgreichen Agenda 2010 nahen sehen. Kurt Beck spricht derweil selbst von einer Weiterentwicklung der Agenda.

Keine Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich werde hier nicht auf den Weg von Herrn Kolb einschwenken. Dass wir hier gemeinsam eine Aktuelle Stunde beantragt haben, hat ausschließlich organisatorische und keine inhaltlichen Gründe.

(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der CDU/CSU: Das ist beruhigend!)

Mir geht es eher darum, einmal nüchtern zu schauen, was fern von jeder Aufregung tatsächlich hinter dieser aktuellen Diskussion steht. Einiges dabei scheint mir viel Lärm um nichts zu sein. Was ist geschehen? Teile der SPD nicht unbegründet ist die Vermutung: eine Mehrheit der SPD will die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlängern, genauer: Arbeitslose, die älter als 45 Jahre sind, sollen ALG I 15 Monate und über 50-Jährige sollen ALG I 24 Monate beziehen können. Die Union kontert in Person des Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion, Kollege Norbert Röttgen, mit einer Verbalattacke, die laut Spiegel zu den deftigsten gehörte, die aus der Union im Laufe der über zweijährigen Tätigkeit der Großen Koalition an die SPD-Spitze gerichtet wurden. Wieso eigentlich? Der laut Umfragen bekannteste Sozialdemokrat von Nordrhein-Westfalen, CDU-Ministerpräsident Rüttgers, hat mit seiner Forderung versucht, die SPD links zu überholen. Übrigens, Herr Kolb, ich habe in dieser Frage keine großen Proteste von Ihrem Kollegen Herrn Pinkwart gehört.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Die FDP in NRW ist ganz in Ordnung! Heiterkeit – Gegenruf des Abg. Frank Spieth (DIE LINKE): Aus Ihrem Mund ist das verdächtig!)

Die CDU hat die Forderung von Herrn Rüttgers aufgegriffen und auf ihrem Parteitag 2006 beschlossen: Wer länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, soll mehr staatliche Unterstützung bekommen als die, die nur für kurze Zeit Beiträge geleistet haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, sind Sie denn jetzt darüber entsetzt, dass Kurt Beck christdemokratische Parteitagsbeschlüsse für richtig hält? Wollen Sie die Leute wirklich glauben machen, dass die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer sich deshalb verbessert hat, weil es aufgrund des kürzeren ALG-Bezugs weniger Frühverrentung gibt? Es waren doch nicht die Arbeitslosen, die sich auf diese Art und Weise den Beschäftigungsabbau über Sozialpläne von der Bundesanstalt für Arbeit subventionieren ließen; vielmehr waren es die Arbeitgeber, die dieses System missbraucht haben. Als Dank dafür haben Sie die Bedingungen für Arbeitnehmer verschärft und die Arbeitgeber damit belohnt, dass Sie die Erstattungspflicht aus dem AFG herausgestrichen haben.
Nein, hier geht es um etwas anderes. Nicht weniger als das Ende der Agenda 2010, dieses allein selig machenden und gerade jetzt so erfolgreichen Programms, sehen Sie da heraufziehen, und da muss man kontern. Das Ende der Agenda 2010 wegen einer verhältnismäßig geringfügigen Änderung beim Arbeitslosengeld I? So harmlos war das nie, was Sie mit der Agenda 2010 beschlossen haben. Der massive Eingriff in die sozialen Sicherungssysteme wird nicht dadurch rückgängig gemacht, dass man ein bisschen mehr ALG für Ältere zahlt.

Solange Arbeitnehmer dank einer auf steil gestellten Rutsche des sozialen Abstiegs befürchten, sich egal, was auch immer sie vorher verdient haben nach nur einem Jahr auf Sozialhilfeniveau wiederzufinden, sind sie in diesem Land erpressbar und leichte Opfer für Lohnabbau, Streichung von betrieblichen Sozialleistungen und Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich.

(Beifall bei der LINKEN)

Während im letzten Jahr, Ihrem Boomjahr, die Gewinne der Unternehmen und die Einkünfte aus Kapitalvermögen real um 5,2 Prozent stiegen, hatten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit ihrer harten Hände Arbeit ein Wachstum von 2,7 Prozent erwirtschaftet hatten, real 0,7 Prozent weniger in den Taschen. Das sind die gewollten Folgen der Agenda 2010.

Sie sind stolz auf den Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Über die Qualität dieser Arbeitsplätze schweigen Sie sich aus. Es boomt vor allem die Zeitarbeit, wo Löhne teilweise ein Drittel unter dem liegen, was die Kollegin oder der Kollege in der Stammbelegschaft verdient. Die Agenda 2010 hat mit verschärfter Zumutbarkeit nein, mit einem Zwang zur Arbeit die Vorraussetzung für ein solches Lohndumping geschaffen. Sie wird aber nicht dadurch beerdigt dass Sie für einige ein bisschen länger Arbeitslosengeld zahlen oder dass Sie die übelsten Härten der Rente mit 67 abzufedern versuchen. Auch bei der Rente mit 67 gilt: Es gibt keine Verbesserung, es gibt nur einen Abschied von diesem Konzept.

Besten Dank.

(Beifall bei der LINKEN)