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Rede
18.01.2007 – Volker Schneider
Wissenschaftszeitvertragsgesetz geht an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war ja zu erwarten: Sie reden hier darüber, dass Menschen über längere Zeit befristet eingestellt werden können, aber nicht darüber, was das für eine mittel- und langfristige Familien- und Lebensplanung bedeutet. Sie reden auch nicht darüber, dass dieses Gesetz Herr Tauss hat es ja wenigstens in Ansätzen getan unterm Strich auch dazu beiträgt, dass man für ein Forschungsprojekt benötigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders einfach wieder los wird.

(Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Quatsch!)

Denken Sie etwa an einen auf Nanotechnologie spezialisierten Physiker selbstverständlich gilt Gleiches auch für eine Physikerin , der gezielt für ein Forschungsprojekt etwa im Bereich der Nanomesstechnik angeworben wurde: Es ist Fakt, dass seine bzw. ihre Verwendungsmöglichkeit in anderen Projekten äußerst begrenzt ist.

Auch ohne dieses hier zu beratende Gesetz gibt es schon jetzt für die Arbeitgeber in den Forschungseinrichtungen Möglichkeiten genug, dieses „Problem“ zu bewältigen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit unbefristeten Verträgen können betriebsbedingt gekündigt werden.

(Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Das sind die Sonntagsreden, die ich meine!)

Befristungen von Arbeitsverhältnissen sind bei Vorliegen eines sachlichen Grundes in Form von zweck- oder zeitbefristeten Arbeitsverhältnissen möglich. Das Hochschulrahmengesetz eröffnet in §§ 57 a ff. erweiterte Möglichkeiten, auch ohne einen Sachgrund Arbeitsverhältnisse zu befristen. So wundert es nicht, dass schon jetzt, um nur ein Beispiel zu nennen Herr Tauss ist ja auch schon darauf eingegangen, die Fraunhofer-Gesellschaft 46 Prozent der Wissenschaftler und 34 Prozent aller Beschäftigten befristet beschäftigt. Dagegen werden haushaltsrechtlich mögliche und gebotene Chancen auf unbefristete Beschäftigung nach Einschätzung des Gesamtbetriebsrates bei weitem nicht ausgeschöpft.

Dennoch wollen Sie mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf Möglichkeiten der sachgrundlosen Befristung durch die Einbeziehung des nichtwissenschaftlichen Personals und das Instrument der Drittmittelfinanzierung erheblich ausweiten.

(Zuruf des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Der Dank der Arbeitgeber, Herr Tauss, für dieses Geschenk dürfte Ihnen gewiss sein. Wozu noch faire Arbeitsverträge aushandeln, die sowohl der Rechtssicherheit und der Reduzierung des unternehmerischen Risikos aufseiten der Arbeitgeber dienen, als auch die Arbeitnehmer in geeigneter Form für diese Art der Risikoüberwälzung auf sie entschädigen?

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Möchten Sie eine Frage des Kollegen Tauss zulassen?

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Aber bitte.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.

Jörg Tauss (SPD):

Lieber Kollege, vielleicht können wir die Kirche im Dorf lassen und nicht infrage stellen, dass die Arbeitgeber überhaupt noch an fairen Arbeitsverhältnissen interessiert seien.

Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass gerade eine Institution wie die Fraunhofer-Gesellschaft darauf angewiesen ist, hervorragendes Personal zu bekommen, sodass dort ein natürliches Interesse des Arbeitgebers ich weiß natürlich, dass es sich hier um eine öffentlich wie privat geförderte Wissenschaftsorganisation handelt vorhanden ist, den Leuten nicht übel mitzuspielen, sondern mit ihnen Arbeitsverträge abzuschließen, die ein vernünftiges wissenschaftliches Arbeiten ohne Angst vor der Zukunft ermöglichen? Voraussetzung dafür, dass man sich auf seine wissenschaftliche Arbeit konzentrieren kann, ist ja, dass man sich nicht täglich nach einem anderen Arbeitsplatz umschauen muss. Können wir uns nicht darauf verständigen, dass das ein wenig ein Popanz ist, den Sie hier aufbauen?

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Herr Kollege Tauss, wenn ich Ihnen als Mitglied der Fraktion Die Linke jetzt antworte, dass ich Ihre Meinung nicht teile, wird Sie das mit Sicherheit weder wundern noch befriedigen.

(Jörg Tauss (SPD): Ich gebe die Hoffnung ja nie auf bei den Verlorenen!)

Aber so einfach mache ich es mir auch gar nicht. Ich empfehle Ihnen einen Blick in die heutige Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Sie wissen, das ist nicht gerade unser Kampfblatt. Dort finden Sie einen Artikel mit der Überschrift: „Mitte dreißig am Abgrund“. Dort werden Sie einiges darüber lesen, wie im Bereich der Wissenschaft, zum Beispiel vom Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ihr Gesetz in diesem Punkt eingeschätzt wird. Dort heißt es: Mit dem Gesetz werden nun definitiv nicht die attraktiven Arbeitsbedingungen geschaffen, wie Sie hier vorgeben, sondern es wird dabei bleiben, dass wir im internationalen Vergleich Probleme haben werden, a) Wissenschaftler zu beschäftigen und b) diese Wissenschaftler zu halten, und zum guten Schluss wird im Zweifelsfall auch nach 18 Jahren der Wissenschaftler in die USA auswandern.

(Beifall bei der LINKEN - Jörg Tauss (SPD): Also „FAZ“ kann man jetzt auch nicht mehr lesen!)

- Die „FAZ“ können Sie auch nicht mehr lesen; auch sie scheint zum linken Kampfblatt zu verkommen.

Ich sagte bereits: Der Dank der Arbeitgeber für dieses Geschenk dürfte Ihnen gewiss sein. Wozu dann noch faire Arbeitsverträge aushandeln? Warum Arbeitgeber in der Pflicht belassen, am Ende eines Projektes zu überprüfen, ob man nicht doch noch eine Beschäftigungsmöglichkeit in anderen Bereichen der Einrichtung hat?

Das gilt insbesondere für den nichtwissenschaftlichen Bereich. Denn ich habe ja bereits erwähnt, dass die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei hochspezialisierten Wissenschaftlern durchaus sehr eingeschränkt sind. Aber was heißt das für die Sekretärin? Ist denn auch die Sekretärin in dem Moment, in dem ihr Chef das Projekt beendet hat, in keinem anderen Bereich mehr einsetzbar? Das ist für mich nicht nachzuvollziehen. Das scheint eine neue, moderne Form von Leibeigenschaft zwischen wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Personal zu sein, etwa in der Form: zusammen eingestellt, zusammen gearbeitet, zusammen entlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Arbeitgebern garantieren Sie aber nicht nur Bequemlichkeit im individualrechtlichen Bereich, auch kollektivrechtlich brennt in diesem Gesetz nichts an. Den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften wird durch die Tarifsperre verboten, abweichende und für Arbeitnehmer günstigere Vereinbarungen zu schließen.

Zur Legitimation dieses fragwürdigen Fakts verweisen Sie auf eine Nichteinigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die auf die Jahre 1983 und 1984 datiert so, als seien nicht 23 Jahre ins Land gegangen; so, als seien die handelnden Akteure die gleichen wie damals. Herr Müller, was für eine armselige Begründung!

Angesichts so viel grundsätzlicher Kritik kann die Fraktion Die Linke dem vorliegenden Entwurf insgesamt nicht zustimmen, obwohl wir etwa die familienpolitische Komponente des Entwurfs durchaus begrüßen und im Ausschuss, Herr Tauss, durch Zustimmung in Einzelfragen unsere Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit mehr als unter Beweis gestellt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Wo war das? Davon war nichts zu merken! Gegenruf des Abg. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Im Ausschuss! Da sehen Sie mal, wie Sie im Ausschuss aufpassen, Herr Müller!)