Rede
18.01.2008 – Volker Schneider
Bundesregierung springt zu kurz
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Qualifizierungsinitiative ist ausweislich der Unterrichtung der Bundesregierung auch eine Antwort auf den drohenden Fachkräftemangel. Mir persönlich ist bereits seit mindestens zehn Jahren bekannt, dass bedingt durch die Demografie im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts der Bedarf an Fachkräften in Deutschland stark ansteigen wird.
In der uns vorliegenden Unterrichtung wird dieser Trend wie folgt präzisiert:
Bis zum Jahr 2013 werden 330 000 Akademikerinnen und Akademiker im Bereich der gewerblichen Wirtschaft - davon 70 000 Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler sowie 85 000 Ingenieurinnen und Ingenieure - in den Ruhestand gehen. In den nächsten Jahren werden in den Naturwissenschaften nach Prognosen mindestens 30 Prozent jedes Absolventenjahrgangs fehlen.
Ähnliche Entwicklungen sind im Übrigen auch auf der Ebene der Meister, der Techniker und bei einer Reihe von Facharbeitern zu erwarten.
Wie bereits gesagt, ist dies alles lange bekannt und daher alles andere als neu. Insoweit ist es mehr als erstaunlich, wie die Wirtschaft sehenden Auges und ohne frühzeitig vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen auf diesen Fachkräftemangel zugesteuert ist.
(Jörg Tauss [SPD]: Für Weitsicht sind wir zuständig! Die Wirtschaft kann das nicht!)
Wer sich nur noch am kurzfristigen Erfolg orientiert, wer nur von Quartalsbericht zu Quartalsbericht denkt, für den ist die Qualifikation von Mitarbeitern nur ein Kostenfaktor, der den Gewinn schmälert. Wer so kurzfristig denkt, ist zu einer langfristigen und nachhaltigen Entwicklung von Unternehmen wahrlich nicht in der Lage. Das ist kein Qualitätsbeweis für einen zu großen Anteil der Führungskräfte in unserer Wirtschaft.
Nun soll die Politik es wieder richten. Es ist erstaunlich, was hier nun alles kurzfristig in Bewegung versetzt werden soll. Jetzt entdecken Sie, worauf wir als Linke gebetsmühlenartig hingewiesen haben - nämlich, dass unser Bildungssystem in hohem Maße sozial selektiv wirkt und dass dies nicht nur eine Beeinträchtigung des Rechts auf Bildung bedeutet, das sich für uns aus dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung ergibt, sondern auch eine nicht mehr nachvollziehbare Vergeudung von Ressourcen.
(Beifall bei der LINKEN) Das liest sich bei Ihnen so:
Deshalb müssen alle Potenziale genutzt werden. Es ist ein Kernelement von Zukunftsvorsorge, allen jungen Menschen eine Chance auf eine gute Ausbildung zu bieten, Kindern aus bildungsfernen Schichten verstärkt den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen, für Frauen und Männer Bedingungen zu schaffen, unter denen sie die Anforderungen der eigenen Familie mit einer Ausbildung, einem Studium oder der Berufsausübung vereinbaren können. Mehr Menschen muss der Aufstieg durch Bildung ermöglicht werden. Wir brauchen Weiterbildungsmöglichkeiten für alle während des gesamten Lebenslaufs.
Richtig so. Schade ist nur, dass es weniger das Recht auf Bildung, sondern mehr ökonomische Notwendigkeiten sind, die Sie zu einer derart klaren Positionierung veranlassen.
Auch hinsichtlich der Frage, worin die Bundesregierung die zentralen Weichenstellungen für die Zukunft sieht, können wir den von Ihnen genannten zentralen Punkten nur zustimmen.
Aber wie unterfüttern Sie denn diese hehren Ziele? Da sehen wir noch erheblichen Diskussionsbedarf. Angesichts der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich nur einige Punkte kurz ansprechen.
Sie wollen zukünftig frühkindliche Betreuung mit Bildung verknüpfen. Richtig und gut so! Dafür brauchen Sie aber entsprechende Fachkräfte - und die bekommen Sie nicht mit den Qualifizierungsmaßnahmen, die Sie hier vorschlagen. Wir brauchen auch in Deutschland Fachkräfte, die auf akademischem Niveau gebildet sind. Zusammen mit Österreich hinken wir weit hinter der europäischen Entwicklung hinterher. Das kostet Geld. Dieses Geld in die Hand zu nehmen, sind Sie anscheinend nicht bereit.
(Beifall bei der LINKEN)
Das gilt insbesondere auch für das, was Sie als frühe Sprachförderung vorschlagen. Spätestens hier brauchen wir entsprechend vorgebildete akademische Fachkräfte.
In Bezug auf das, was Sie mit den Bildungshäusern beabsichtigen, kann ich nur Vermutungen anstellen. Wir als Linke sind ja auch für gemeinsames Lernen.
(Zuruf von der SPD: Toll!)
Aber doch bitte nicht gemeinsames Lernen von drei bis zehn, sondern gemeinsames Lernen von 6 bis 18! Das wäre die Zielsetzung.
(Beifall bei der LINKEN)
Außerdem wollen Sie die regionalen Weiterbildungsstrukturen stärken. Das ist auch ein sehr guter Ansatz. Wunderbar; aber wieder einmal mehr mit Projekten, mit Modellen, mit Stiftungen! Das führt uns doch nicht weiter. Was wir an dieser Stelle brauchen, sind verbindliche, klare Strukturen - und die bekommen wir nur über ein bundesweites Weiterbildungsgesetz.
(Beifall bei der LINKEN)
Bemerkenswert finde ich, dass Sie in das Papier eine Weiterbildungsallianz hineinschreiben; denn das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Auch ohne eine solche Forderung müssten Wirtschaft und Politik an dieser Stelle zusammenarbeiten. Wenn Sie das dann auch noch im Sinne eines Ausbildungspakts ausgestalten wollen, lässt mich das als Linken das Übelste befürchten.
Positiv hervorheben kann ich den Ausbau der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten zu Kompetenzzentren. Allerdings merkt man an dieser Stelle wieder einmal, wie forschungslastig Ihre Bildungspolitik ist.
Gänzlich unangebracht in diesem Papier ist allerdings Ihr Jubel über die Weiterbildungsaktivitäten der Bundesagentur für Arbeit. Sie bauen jetzt auf, was Sie zuvor demontiert haben. Sie sind jetzt noch nicht einmal wieder auf dem Stand von 2001. Das ist wahrlich kein Grund zum Jubeln.
(Klaus Hagemann [SPD]: Belegen Sie das mal!)
Das Papier zur Qualifizierungsinitiative ist nicht das schlechteste; es ist immerhin ein Einstieg in die Diskussion. Jetzt müssten Sie sich noch in den weiteren Beratungen bewegen. Optimistisch bin ich in diesem Punkt nicht; meine Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen leider etwas anderes.
Vielen Dank.
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