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Rede
21.09.2007 – Volker Schneider
Die Gesetzliche Rentenversicherung zur solidarischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn ich mir die Berichterstattung über die Rentenpolitik der Bundesregierung und ihre Selbstdarstellung in diesem Bereich anschaue, dann fühle ich mich bisweilen an Helmut Kohl erinnert, der in einer seiner berühmt-berüchtigten, tiefenphilosophischen Betrachtungen einmal gesagt hat: „Die Wirklichkeit ist leider anders als die Realität.“

Sie werden nicht müde, die Erfolge Ihrer Rentenpolitik zu feiern. Ganz aktuell freut sich Kurt Beck, dass 2008 voraussichtlich mit einer Rentenerhöhung um 1,5 Prozent zu rechnen sei. Hätte er sich beim Kieler Institut für Weltwirtschaft erkundigt, hätte er erfahren, dass sogar mit 1,7 Prozent zu rechnen ist. Das ist ein toller Erfolg, aber nur, wenn man nicht in Betracht zieht, dass gleichzeitig mit einer Inflationsrate in Höhe von 2 Prozent zu rechnen ist. Das bedeutet, auch 2008 real weniger für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, nämlich 0,3 Prozent.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Genauso ist es! Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Skandalös! Zurufe des Abg. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU))

- Herr Weiß, Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. – Das hatten wir in diesem und im letzten Jahr – beides Boomjahre – in Deutschland auch schon. In diesem Jahr gibt es real ein Minus von 1,2 bis 1,5 Prozent: nämlich bei einer geschätzten Inflationsrate von 1,7 bis 2 Prozent und einer Erhöhung der Rente um 0,54 Prozent. 2006 gab es real keine Erhöhung und eine Inflationsrate 1,7 Prozent: Das machte ein Minus von 1,7 Prozent. Diese lange Reihe von Erhöhungen und Nullrunden hatte letztlich immer dasselbe Ergebnis: Die Rentnerinnen und Rentner haben real weniger Geld in der Tasche. Das sind die Erfolge Ihrer Politik. In Anbetracht des vielgefeierten Aufschwungs ist dieses Ergebnis wahrlich keine überaus erfolgreiche Rentenpolitik.

Auch an anderer Stelle werden Sie nicht müde, die Erfolge Ihrer Rentenpolitik zu feiern. Ihr Hauptargument lautet immer: Wir haben die Rente angesichts der Herausforderungen der Demografie zukunftsfest gemacht. – Aber was meinen Sie, wenn Sie von Zukunftsfestigkeit reden, und was meinen Sie, was sich die Menschen draußen im Lande erhoffen, wenn sie an Zukunftsfestigkeit denken? Sicherlich nicht, dass sie ihren Lebensabend am Ende eines möglicherweise harten, hoffentlich aber langen und nicht durch Arbeitslosigkeit unterbrochenen Erwerbslebens auf dem nicht armutsfesten Niveau der Grundsicherung im Alter fristen müssen.

Stellen Sie sich die Situation eines jungen Menschen vor, der heute 1 843 Euro brutto verdient und sein Arbeitsleben lang in dieser Gehaltsgruppe verbleibt, also nur in den Genuss hoffentlich regelmäßiger Lohnsteigerungen kommt. Wo findet sich dieser Mensch im Alter wieder? Selbst wenn ihm Arbeitslosigkeit ein Leben lang erspart bliebe, müsste er 48 Beitragsjahre nachweisen können, um sich dann auf dem Niveau der Grundsicherung – das entspricht heute rund 670 Euro – wiederzufinden. Ist das für Sie zukunftssicher?

Sie wollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer absichern, indem Sie sie „verriestern“ und „verrürupen“. Aber was heißt das für diesen jungen Menschen? Er bekommt ein Nettogehalt in Höhe von 1 200 Euro. Davon kann man längst nicht mehr all das bezahlen, was man braucht, wenn man gerade dabei ist, sich eine Existenz aufzubauen, eine Wohnung einzurichten, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren und ein Auto zu unterhalten. Aber Sie wollen, dass dieser junge Mensch von seinem Geld noch rund 75 Euro pro Monat in die Riester-Rente einzahlt. Selbst Ihre Minister wissen, dass das nicht geht und sind schnell mit schlauen Vorschlägen zur Stelle. Sie sagen, für die Altersvorsorge könne man ja auf den Urlaub oder auf das Auto verzichten. Sind das die Erfolge Ihrer Rentenpolitik?

Immerhin lobt Sie die OECD für Ihre Erfolge. Aber was steht tatsächlich im Bericht der OECD? Dort steht nichts anderes, als dass ein Arbeitnehmer, der im Jahr 2004 im Alter von 20 Jahren zu arbeiten beginnt, bei voller Erwerbstätigkeit bis zum gesetzlichen Rentenalter und mit konstant 50 Prozent des Durchschnittseinkommens – das wären aktuell 1 229 Euro brutto – 39,9 Prozent seines Bruttoverdienstes als Rente bekommt. Damit nimmt Deutschland unter allen OECD-Staaten den letzten Platz ein. Dafür lassen Sie sich loben?

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Erzählen Sie doch mal die Wahrheit!)

Das ist leider kein bedauerlicher Ausreißer. Im Schnitt befindet sich Deutschland auf dem sechstletzten Platz. An der Spitze stehen neben Luxemburg solche „Wirtschaftsgiganten“ wie Griechenland und die Türkei.

Gestern haben wir hier über den Altenbericht der Bundesregierung diskutiert. Die große Koalition stellt in einer von ihr eingebrachten und verabschiedeten Entschließung zum Altenbericht hinsichtlich der Auswirkungen ihrer eigenen Rentenpolitik auf das Einkommens- und Vermögensniveau der zukünftigen älteren Generationen Erstaunliches fest:

Berechnungen prognostizieren selbst unter der Annahme ununterbrochener Erwerbsverläufe und

– jetzt müssen Sie aufpassen –

unter voller Ausnutzung der Fördermöglichkeiten ein sinkendes Niveau des Nettoeinkommens im Alter, sodass aufgrund einer zunehmenden Einkommensungleichheit ein steigendes Armutsrisiko im Alter befürchtet werden muss.

Da kann ich Ihnen uneingeschränkt recht geben. Auch bei ununterbrochener Erwerbstätigkeit und bei voller Ausnutzung aller Fördermöglichkeiten werden zukünftige Rentner damit rechnen müssen, in zunehmendem Maße von Altersarmut betroffen zu sein. Das ist der Erfolg Ihrer Rentenpolitik.

Genauso, wie Sie im Hinblick auf die Rentenpolitik Ihre ganz eigene Realität schaffen, versuchen Sie darüber hinaus, den Menschen draußen im Lande ein verzerrtes Bild von der Rentenpolitik der Linken wiederzugeben. Sie behaupten, dass die Linke den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Geld für die Rente aus den Taschen ziehen will.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): So ist es ja auch!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spieth aus Ihrer Fraktion? Ich nehme an, das ist hilfreich für Sie.

(Lachen bei der SPD - Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach! Der hat doch gar keine wirkliche Frage!)

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Ich lasse fast alle Zwischenfragen zu.

(Elke Ferner (SPD): Reicht Ihre Redezeit etwa nicht aus? - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Können Sie darüber nicht in Ihrer Fraktion diskutieren?)

Frank Spieth (DIE LINKE):
Es ist interessant, wie die Mitglieder der anderen Fraktionen reagieren, wenn man einem Redner aus der eigenen Fraktion eine Frage stellen will; Sie machen das übrigens regelmäßig. Das ist aber nur eine Vorbemerkung.
Zu meiner Frage. Herr Kollege Schneider, können Sie bestätigen, dass Bundestagsabgeordnete, die eine volle Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundestages waren und in ihrer zweiten Legislaturperiode nach zwei Jahren ausscheiden, ab ihrem 65. Lebensjahr eine Rente von knapp 1 700 Euro erhalten, und das, ohne jemals Beiträge gezahlt zu haben?

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das können Sie nicht in einer Fraktionssitzung klären? Schade!)

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Wenn die zweite Legislaturperiode aufgrund der vorzeitigen Auflösung des Bundestages verkürzt wäre, ja. Ansonsten muss man für diesen Anspruch beide Legislaturperioden vollständig haben, lieber Kollege Spieth.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ein Blick ins Abgeordnetengesetz hätte Ihnen diese Frage erspart! - Rolf Stöckel (SPD): Das hätten Sie auch mit der Verwaltung regeln können!)

Zu der Frage, ob wir den Arbeitnehmern mehr oder weniger Geld aus der Tasche ziehen. Nach unseren Vorschlägen wären zurzeit 22 Prozent in die Rentenversicherung einzuzahlen; das wären 11 Prozent für die Arbeitnehmer. Dank Ihrer Reformen haben gilt derzeit ein Satz von 19,5 Prozent; der Arbeitnehmeranteil beträgt also 9,75 Prozent. Hinzu kommen selbst nach Abzug der staatlichen Förderung – die immerhin ein Drittel der Riester-Sparer gar nicht in Anspruch nehmen – noch einmal 3 Prozentpunkte. Das macht 12,75 Prozent – und das bei einem niedrigeren Rentenniveau. Wollten Sie dieses auch noch ausgleichen, brauchten Sie weitere 3 Prozentpunkte für die private Vorsorge. Das macht 15,75 Prozent. Was liegt nun höher:15,75 Prozent oder 11 Prozent? Um das zu beurteilen, reicht wohl die berühmt-berüchtigte Volksschule Sauerland. Das sind die „Erfolge“ Ihrer Rentenpolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)