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Rede
22.06.2006 – Volker Schneider
Wer die Weiterbildung ausbauen will, muss die Ärmel hochkrempeln und anfangen

Trotz der wachsenden Stellenwertes der Weiterbildung für die Zukunft der Menschen in Deutschland, kürzt die Bundesregierung den Etat für die berufliche Weiterbildung immer weiter. Statt Lippenbekenntnissen zur Weiterbildung fordert DIE LINKE die Weiterbildung mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten. Volker Schneider in der Haushaltsdebatte am 22. Juni 2006 zum Einzelplan 30 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Volker Schneider (DIE LINKE.): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesminister Schavan, ich habe interessehalber Ihren Lebenslauf gelesen und habe gesehen, dass Sie in 13 Jahren Ihr Abitur erworben haben.

(Dr. Annette Schavan, Bundesministerin: In zwölf Jahren!)

Es ist immer schwierig, so etwas auszurechnen, wenn das exakte Datum nicht dabeisteht. Sie haben die Schule wahrscheinlich kostenlos besucht und haben im selben Jahr mit dem Studium der Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften begonnen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kluge Frau!)

Wahrscheinlich war dieses Studium auch kostenlos. An dieser Stelle, Frau Schavan, habe ich mich gefragt: Würden Sie heute dieselbe Entscheidung fällen, wenn Sie in den USA studieren würden? Ich war gerade an einer der viel gepriesenen Eliteuniversitäten und habe dort hören müssen, dass sich die Fächer, die Sie sich damals ausgesucht haben, einer drastisch gesunkenen Beliebtheit erfreuen. Das ist gut zu verstehen. Denn wer am Ende seines Studiums auf einem Schuldenberg von 100 000 Dollar aufwärts sitzt, der sucht sich sein Studium Frau Kollegin Aigner, da wir beide die gleichen Universitäten besucht haben, weiß ich natürlich um die unterschiedlichen Höhen der Studiengebühren. Ich habe ausdrücklich die Eliteuniversitäten angesprochen. An der Stanford University haben wir gehört, dass sich beispielsweise Fächer wie Deutsch oder Philosophie einer drastisch gesunkenen Beliebtheit erfreuen. An anderen Universitäten, zum Beispiel an der University of California, haben Sie gehört, dass man die Studiengebühren zunächst langsam, dann aber stark erhöht hat, was dort dazu geführt hat, dass die Studierendenzahlen drastisch zurückgegangen sind. Ist das korrekt, Frau Kollegin Aigner?

(Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Antwort lautet: Es ist nicht vergleichbar!)

In einem Land, wo man viel Geld hauptsächlich als Manager, Arzt, Jurist oder Informatiker verdienen kann, werden selbst – auch das haben wir in den USA sehen können – Ingenieure knapp und müssen sozusagen aus dem Ausland importiert werden. Sie werden teilweise aus Deutschland abgeworben. Zurück zu Ihrem Lebenslauf, Frau Dr. Schavan. In nur sechs Jahren haben Sie Ihr Studium mit Promotion abgeschlossen. Kompliment! Ich denke aber, das kann man nur schaffen, wenn man neben dem Studium nicht noch für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Ich denke, Sie waren diesbezüglich abgesichert. Genau so wie ich Ihnen, Frau Bundesminister, diesen Erfolg gönne, würden wir uns als Linke wünschen, dass möglichst viele junge Menschen die Chance haben, einen ähnlichen Weg gehen zu können. Was wir wollen, ist, dass den jungen Menschen nach ihren jeweiligen Interessen ein freier Zugang, insbesondere ein Zugang frei von finanziellen Zwängen, zu Bildungseinrichtungen zur Verfügung steht.

(Beifall bei der LINKEN)

Bildung ist die wichtigste Ressource in unserem technologieorientierten Land. Über das Ziel, diese optimal zu entwickeln – unabhängig von sozialer Herkunft –, darüber sollte eigentlich Übereinstimmung in diesem Hohen Hause herrschen. Wer dann noch die Chance hat, erworbene Qualifikationen erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt zu verwerten, der wird bei angemessenen Spitzensteuersätzen über die Steuern der Gesellschaft vielfach das zurückgeben, was sie oder er von der Gemeinschaft erhalten hat. Keine Krankenschwester braucht das Studium eines Arztes zu finanzieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Zurück zu Ihnen, Frau Schavan. Die Anforderungen, die in Ihrer beruflichen Laufbahn als Referentin, Abteilungsleiterin, Bundesgeschäftsführerin, Leiterin und Kultusministerin an Sie gestellt worden sind, werden Sie schwerlich nur mit den an der Universität erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten bewältigt haben können. Sicher haben Sie sich in Ihrem Berufsleben in vielfältiger Weise weitergebildet und, wie man sieht, diese Weiterbildung hat sich für Sie gelohnt. Damit befinden Sie sich im statistischen Mittel. Wer bereits überdurchschnittlich qualifiziert ist, bildet sich überdurchschnittlich fort und profitiert auch überdurchschnittlich von der Weiterbildung. Herr Rossmann hat das ja schon angesprochen. Leider – auch das hat Herr Rossmann angesprochen – gilt das umgekehrt auch am unteren Ende der Skala: Die Bereitschaft zur Weiterbildung sinkt mit dem Bildungsniveau und -abschluss, auch und leider weil sich Weiterbildung zunehmend weniger lohnt. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, kommt bei Betrachtung dieser Problematik zu dem Ergebnis: Unzweifelhaft wird die klassische Aufgabe der Weiterbildung, jungen Erwachsenen eine zweite Chance zu eröffnen und Möglichkeiten der schulischen und beruflichen Nachqualifizierung bereitzustellen, an Bedeutung gewinnen und zusätzliche finanzielle Anstrengungen erfordern. Recht hat er.

(Beifall bei der LINKEN – Ulrike Flach [FDP]: Wo haben Sie das denn in den Haushalt eingestellt?)

Das wollen wir; wir haben einen dementsprechenden Antrag gestellt. Was tut die Bundesregierung? Sie produziert bislang nur heiße Luft. Der wohlklingenden Ankündigung, die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems ausbauen zu wollen, sind noch keine greifbaren Konsequenzen gefolgt. Da wird dann mit Frau Süssmuth selbst eine Christdemokratin ungeduldig. Diese hat kürzlich beim Volkshochschultag erklärt: Wohlfeile Lippenbekenntnisse zum wachsenden Stellenwert der Weiterbildung für die Zukunft der Menschen in Deutschland und gleichzeitige massive Kürzungen der finanziellen Förderung passen nicht zusammen. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern auch gesellschaftspolitisch und ökonomisch kurzsichtig und kontraproduktiv. Recht hat sie.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie, Frau Bundesminister, haben auf derselben Veranstaltung den Vorwurf finanzieller Kürzungen von sich gewiesen. Fakt ist aber, dass die Istzahlen im entsprechenden Unterkapitel des Titels 685 03 2004 52,071 Millionen Euro sowie 2005 43,676 Millionen Euro betrugen und für 2006 38,419 Millionen Euro eingeplant sind. Das entspricht seit 2004 einer Kürzung um 13 Millionen bzw. einem Minus von 25 Prozent. Das können Sie auch unter Einbeziehung von EU-Mitteln nicht schönreden. Wir kommen ...

(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Zum Schluss!)

... Ja, ich komme zum Schluss. Wer eine vierte Säule bauen will, braucht die notwendigen finanziellen Mittel, muss die Ärmel hochkrempeln und anfangen. Vielleicht, Herr Tauss, braucht er auch noch einen Dispatcher. Also bitte ich Sie, unserem Antrag zu folgen und eine vergleichsweise bescheidene Umschichtung im Haushalt zugunsten der Weiterbildung vorzunehmen. Das wäre ein erster Schritt weg von Lippenbekenntnissen hin zu einer notwendigen und wichtigen Veränderung unseres Bildungssystems. Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU], des Abg. Jörg Tauss [SPD] und der Abg. Cornelia Pieper [FDP] – Jörg Tauss [SPD]: Das mit dem Dispatcher war gut!)