Sie sind hier: Standpunkte Reden

Rede
12.02.2009 – Volker Schneider

Ganzheitliche Bildungsförderung für Erwachsene wird es mit der Großen Koalition in dieser Legislatur nicht mehr geben


Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So ganz kann ich in die vielen Lobeshymnen, die hier gesungen werden, nicht einstimmen.

(Beifall des Abg. Uwe Schummer (CDU/CSU) Jörg Tauss (SPD): Das haben wir befürchtet!)

Wenn Sie einem Kind die Hoffnung gemacht haben, dass es zu Weihnachten endlich das lange versprochene Fahrrad erhält, und es unter dem Weihnachtsbaum ein Taschenbuch findet, dann wird die Enttäuschung groß sein, egal, wie schön Sie den Raum geschmückt haben, egal, wie groß der Weihnachtsbaum ist, und egal, wie toll das Taschenbuch ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Fahrrad, das Sie versprochen haben, heißt: Integration der Weiterbildung als vierte Säule unseres Bildungssystems. Das, was Sie heute hier weitergeben die Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes, AFBG, hat, befürchte ich, noch nicht einmal das Zeug zu einem Taschenbuch. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag versprochen Zitat:

Wir wollen mittelfristig die Weiterbildung zur 4. Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren.
Nun neigt sich diese Legislaturperiode ihrem Ende zu. Es ist daher nicht falsch, anzunehmen, dass Sie mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes Ihre Initiativen zur Stärkung der Weiterbildung abschließen und krönen wollen.

Für Sie ist dieser Gesetzentwurf ein ganz großer Wurf. Sie wollen - man kann das in Ihrem Gesetzentwurf nachlesen - nicht weniger, als dem Fachkräftemangel durch individuelle und kontinuierliche Höherqualifizierung begegnen, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sichern und die Qualifikation der Bevölkerung auf Dauer erhalten. Damit dies gebührend gefeiert werden kann, haben wir heute die Ehre, das zur allerbesten Debattenzeit diskutieren zu dürfen.

Es ist schon bezeichnend, dass Sie aus so wenig einen so großen Anlass machen. Sicher, das ist kein schlechter Gesetzentwurf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das will auch ich zugestehen. Was positiv zu bewerten ist, ist hier ausführlich dargestellt worden. Ich will das nicht alles wiederholen. Ich will nur einen Punkt herausgreifen: Auch wir Linke sind der Meinung, dass die Förderung von Migrantinnen und Migranten ein wichtiger Fortschritt ist, insbesondere weil Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Beschäftigungssystem erheblich benachteiligt sind. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass unser Bildungssystem und unsere Bildungsförderung diese Menschen vielfach eher aussortiert als gezielt fördert. Ich betone noch einmal: Das ist ein wichtiger Schritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt auch kritische Anmerkungen zu Ihrem Gesetzesentwurf; das betrifft Punkte, auf die bis jetzt noch nicht eingegangen worden ist. So sind die Förderbedingungen im AFBG weiter schlechter als im BAföG und das, obwohl Sie selbst angeben, dass mit Strukturverbesserungen in der beruflichen Bildung der angestrebten Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung Rechnung getragen werden soll. Man muss schon sagen: ein merkwürdiges Verständnis von Gleichwertigkeit.

Den Veränderungen durch den Bologna-Prozess wird in dem Entwurf in keiner Weise Rechnung getragen. Wer sein Studium mit einem Bachelor beendet und sich entschließt, sofort in die berufliche Praxis zu gehen, um später eine theoretische Vertiefung in Form eines Master-Abschlusses draufzusetzen ein Szenario, das im Rahmen der Hochschulreform übrigens ausdrücklich gewünscht war, der schaut bei der Förderung schlicht in die Röhre. Ab 30 gibt es kein BAföG mehr, und das AFBG ist für diesen Personenkreis auch weiter nicht zuständig.

Bei aller Freude über die Einbeziehung der Pflegeberufe sowie der Erzieher und Erzieherinnen: Seit Jahren diskutieren wir über veränderte Qualifikationsbedarfe. Seit Jahren stellt sich dabei die Frage, welche Bildungswege auch und gerade in Erziehung und Pflege an die Hochschulen gehören. Längst ist klar, wo die bisherige berufliche Qualifizierung an Grenzen stößt und Berührungspunkte mit der akademischen Bildung entstanden sind. Mit der beruflichen Qualifizierung allein werden Sie diese Probleme nicht lösen können. Bis heute ist kaum zu erkennen, dass Sie auf diese Entwicklungen politisch reagieren. Schon gar nicht haben Sie über die Instrumente der Bildungsförderung hierfür gezielte Anreize geschaffen.

Frau Ministerin, wenn Erzieher und Erzieherinnen bereits nach acht Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden, dann sollte man sich vielleicht einmal überlegen, ob das nicht auch etwas mit der beschämend niedrigen Bezahlung für eine so anspruchsvolle Tätigkeit zu tun hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein letzter Punkt: Qualitätssicherung findet allenfalls auf dem Papier statt. Nach dem Entwurf müssen die Träger ein, das heißt wohl: irgendein Qualitätssicherungssystem vorweisen. Ich habe mich beim Lesen gefragt, ob auch jene Tante Käthe die Qualität überwachen kann, die durch die Reden einer Kollegin aus dem Haushaltsausschuss geistert. Das alles ließe sich noch fortsetzen, aber ich will hier nicht Erbsen zählen.

Es bleibt dabei: Dieser Gesetzesentwurf ist nicht der schlechteste.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber ist es auch der große Wurf? Können Sie so das ist Ihr Anspruch wirklich dem Fachkräftemangel begegnen, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sichern und die Qualifikation der Bevölkerung auf Dauer erhalten?

Sie selbst rechnen mit einem Anstieg das muss ich schon fast in Anführungszeichen setzen der Zahl der Geförderten von 134 000 im Jahr 2007 auf 160 000 im Jahr 2012.

(René Röspel (SPD): Immerhin!)

Selbst wenn ich nicht 50 Millionen Menschen zwischen 20 und 65 Jahren als potenzielle Adressaten lebenslangen Lernens sehe, sondern nur 27 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte,

(Jörg Tauss (SPD): Jahr für Jahr!)

geht es hier nicht einmal um einen Anstieg von 0,5 auf 0,6 Prozent oder exakter um einen Anstieg von etwas mehr als 0,9 Promille. Damit verliert man sicher den Führerschein, aber damit werden Sie mit Sicherheit nicht dem Fachkräftemangel begegnen, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sichern und die Qualifikation der Bevölkerung auf Dauer erhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Viel Lärm um verdammt wenig! Da graut mir nur noch davor, dass die Finanzkrise massiv auf den Arbeitsmarkt durchschlägt.

Schließlich zu Ihrem eigenen Anspruch, die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems auszubauen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System zu etablieren: Außer starken Worten in der ganzen Legislaturperiode wenig gewesen, allenfalls Trostpflästerchen und die oft noch an den falschen Stellen!

Seit den 70er-Jahren, verstärkt seit Beginn der 80er-Jahre, wird über die Notwendigkeit lebenslangen Lernens diskutiert. Seit Anfang der 80er-Jahre ist es eine politische Forderung, Weiterbildung zu einem Bestandteil des Bildungssystems zu machen. Nichts Wirksames in dieser Richtung ist in dieser Legislaturperiode geschehen. Die Weiterbildungsförderung bildet auch nach der vorliegenden Gesetzesänderung einen Flickenteppich unübersichtlicher Einzelmaßnahmen: von WeGebAU bis zum Meister-BAföG und das mit riesigen Lücken. Ein konsistentes System der Förderung ist nicht erkennbar. So können Bildungsbarrieren nicht überwunden werden. So wird lebenslanges Lernen für die Mehrheit der Bevölkerung keine tatsächlich erfahrbare Realität.

Dabei liegen die Reformvorschläge seit Jahren auf dem Tisch. Die Bundesregierung selbst hat eine Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ ins Leben gerufen, die umfassende Konzepte für eine Stärkung der Weiterbildung vorgelegt hat. So forderte die Kommission nicht nur eine Ausweitung bestehender Leistungen, sondern ausdrücklich auch die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens, unter dem diese Leistungen vereint werden. Das waren wichtige Vorschläge für einen ganzheitlichen Ansatz in der Bildungsförderung. Nur dafür, dass diese Vorschläge jetzt im Papierkorb verschwinden, haben Sie doch wohl nicht so viel Geld bezahlt?

Die Linke hält die Umsetzung dieser Vorschläge nach wie vor für elementar. Auch hier und heute wiederhole ich unsere Forderung, nicht länger bei Flick- und Stückwerk zu verharren, sondern mit einem Erwachsenenbildungsförderungsgesetz verlässliche Rahmenbedingungen für Nachfrager und Anbieter der Weiterbildung zu schaffen.

(Ulla Burchardt (SPD): Sie fordern, wir arbeiten daran!)

So viel Mut werden Sie schon brauchen, damit Sie die bislang doch recht hohle Formel vom lebenslangen Lernen mit Leben erfüllen können.

Ein letztes Wort zur FDP: Ihre Angst vor Bürokratiemonstern macht Sie blind für die Erkenntnis, dass kaum ein Markt so sehr versagt hat wie der Weiterbildungsmarkt.

(Patrick Meinhardt (FDP): Da hat der Staat versagt!)

Dort herrscht in hohem Maße Intransparenz, da finden Angebot und Nachfrage nur in seltenen Fällen zueinander. Viel schlimmer als jedes noch so schlimme Bürokratiemonster ist ein krebsartig wuchernder Wildwuchs in diesem Bereich.

(Patrick Meinhardt (FDP): Pure Ideologie!)

Um dem abzuhelfen, braucht es Strukturen und ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)