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Rede
27.03.2009 – Volker Schneider

Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen


Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Ab kommenden Dienstag lädt Deutschland als Gastgeber zur UNESCO-Weltkonferenz „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ nach Bonn. Mit dieser Konferenz fällt der Startschuss für die zweite Halbzeit der UN-Dekade gleichen Namens. „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, das wäre ein guter Anlass, die Nachhaltigkeit des eigenen, des deutschen Bildungssystems auf den Prüfstand zu stellen und Verbesserungen einzufordern. Stattdessen beschränkt sich der vorliegende Antrag der Großen Koalition auf (im Übrigen ungerechtfertigte) Lobeshymnen und unverbindliche und schwammige Absichtserklärungen. Chance verpasst, kann ich Ihnen da nur sagen.

Die Linke versteht die Forderung nach nachhaltiger Bildung dagegen als umfassende Aufgabe – und vor diesem Hintergrund definieren wir in unserem Antrag drei Herausforderungen: Erstens: Bildung ist nur dann nachhaltig, wenn alle gleichermaßen an Bildung teilhaben können. Noch so löbliche Vorzeigeprojekte helfen nicht wirklich weiter, wenn es nicht gelingt, diese Errungenschaften in die Fläche zu übertragen und den Projektcharakter zu überwinden. Zweitens braucht bessere Bildung auch bessere Rahmenbedingungen. Mit der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ werden hehre Ziele formuliert, die auch meine Fraktion unterstützt. Was aber sind solche Zielsetzungen wert, solange im deutschen Bildungssystem Ganztagsschulen noch immer nicht die Regel sind, es an Lehrerinnen und Lehrern mangelt, zu wenig Kleinkinder einen Krippen- und/oder Kitaplatz erhalten, Tausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz im Regen stehen gelassen werden, jede bzw. jeder Zehnte die Schule ohne Abschluss verlässt oder die Betreuungsquote an den Hochschulen immer weiter sinkt? Es reicht nicht, die Proklamation der Ziele zu bejubeln, es ist Aufgabe der Politik, für bessere Rahmenbedingungen in der Bildung zu sorgen. Nicht zuletzt wäre es notwendig, dass Bildung endlich als gesamtstaatliche Aufgabe von Bund und Ländern wahrgenommen und die Bildungskleinstaaterei überwunden wird.

Die dritte Herausforderung betrifft die inhaltliche Seite der Bildung: Ziel der UN-Dekade ist es unter anderem auch mithilfe der Bildung zu einer sozialen und demokratischen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Damit dieses Ziel gelingt, muss vieles geändert werden. Bildungsinstitutionen müssen durch umfassende Mitbestimmungsrechte aller Beteiligten grundlegend demokratisiert werden. Lernende sollen nicht mehr in Konkurrenz zueinander lernen müssen, sondern gemeinsam und solidarisch. Es reicht nicht, Demokratie zu lehren; das eigene Leben demokratisch mitbestimmend zu gestalten, muss für junge Mensch ganz konkret erfahr- und praktizierbar sein.

Die Linke setzt sich dafür ein, dass diese drei Herausforderungen umgesetzt werden. Nur dann kann die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ernsthaft zu einem Erfolg werden. Anstelle von unverbindlichen Absichtserklärungen, richten wir in unserem Antrag konkrete Forderungen an die Bundesregierung. Dazu gehört insbesondere die Erhöhung der Bildungsausgaben auf mindestens 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, und das so schnell als irgend möglich und nicht irgendwann.

Auch strukturell liegt einiges im Argen. Ganz oben auf der Tagesordnung muss die Abschaffung des gegliederten Schulsystems und die Einführung von Gemeinschaftsschulen stehen, in denen alle Kinder und Jugendlichen gemeinsam lernen und individuell gefördert werden. In der beruflichen Bildung muss jeder und jede Jugendliche durch eine gesetzliche Umlagefinanzierung das Recht auf einen Ausbildungsplatz erhalten, und das Studium darf nicht zu einem Privileg für Reiche verkommen.

Wer die Ziele der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wirklich ernst nimmt, muss aber vor allem mit dem größten Übel im deutschen Bildungssystem aufräumen: der erschreckenden sozialen Ungleichheit. Internationale Bildungsvergleichsstudien haben immer wieder belegt, dass Kinder aus bildungsfernen Haushalten, mit Migrationshintergrund oder mit Behinderungen im deutschen Bildungssystem ausgegrenzt und fallen gelassen werden. Diese Erkenntnisse dürfen nicht einfach hingenommen werden. Es muss das oberste Ziel der Bildungspolitik sein, diese Ungerechtigkeit aufzuheben und das Recht auf Bildung für alle durchzusetzen. Das ist für uns Linke der Maßstab, an diesem werden wir Erfolg und Misserfolg dieser Dekade in unserem Land messen.