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08.05.2008 – Volker Schneider

Für DIE LINKE ist die Altersteilzeitförderung gelebte Solidarität zwischen den Generationen


Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einiger Zeit traf ich nach vielen Jahren einen Klassenkameraden aus meiner Volksschulzeit, den ich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Zuerst habe ich ihn nicht erkannt; denn er sah deutlich älter aus als ich, obwohl wir nur einige Monate auseinander sind. Er erzählte mir, dass er als Werkzeugmacher bei einem Zuliefererbetrieb des saarländischen Bergbaus arbeite. Das sei ein Knochenjob. Es seien nun einmal große Maschinen, und er habe insbesondere bei Wartungsarbeiten schwere Teile zu heben. Die vorzeitige Alterung meines Schulkameraden kam also nicht von nichts. Er erzählte weiter, dass ihm die Arbeit zunehmend schwerer falle. Überschichten gehe er aus dem Weg. Früher habe er diese wegen des Geldes gerne gemacht, heute steckten sie ihm tagelang in den Knochen. Neuerdings frage er sich bei jedem Geburtstag, wie lange er das noch durchhalten könne. Es sei für ihn schlicht unvorstellbar, dass er noch mit 60 dieser schweren Arbeit nachgehen könne. Und jetzt hätten die Spinner in Berlin auch noch die Rente mit 67 eingeführt. Dann müsste er noch sieben Monate länger arbeiten oder sich die Rente noch mehr kürzen lassen.

(Wolfgang Grotthaus (SPD): Damit waren Sie gemeint!)

Herr Grotthaus, ich habe dagegen gestimmt.

Ich sage Ihnen eines: Dieser Mann ist alles andere als ein Einzelfall.

(Wolfgang Grotthaus (SPD): Ich meinte die „Spinner“ und nicht die Abstimmung!)

Auf dem Bau schaffen es die Beschäftigten im Schnitt nicht bis zum 60. Lebensjahr. Und es sind auch nicht die körperlich schwer belastenden Arbeiten allein, die es den Menschen unmöglich machen, bis zum 65., geschweige denn bis zum 67. Lebensjahr einer Vollzeit- erwerbstätigkeit nachzugehen. In meinem Beruf ich bin Sozialarbeiter leiden viele ältere Kolleginnen und Kollegen in psychisch hoch belastenden Arbeitsfeldern etwa in der stationären Psychiatrie unter dem Burn-out-Syndrom. Es nützt niemandem auch nicht deren Klientel, wenn sich diese Kolleginnen und Kollegen irgendwie noch in die Rente schleppen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, es gibt auch Menschen, die völlig problemlos über das 65. und selbst über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten können; ein Blick in die Reihen dieses Hauses genügt.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sagen wir Linke, dass angesichts der Vielfalt der Arbeitswelt, dass angesichts völlig unter- schiedlicher körperlicher und/oder seelischer Belastungen eine starre Altersgrenze zunehmend weniger den Lebensleistungen älterer Arbeitnehmer gerecht wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen, dass Arbeitnehmer eine Chance haben, möglichst gesund aus dem Berufsleben auszuscheiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir dringend brauchen, sind flexible Übergänge in den Ruhestand. Darin sind wir uns hier im Hause wohl alle mit Ausnahme der CDU/CSU-Fraktion einig. Nur über das Wie wird trefflich gestritten.

Aber während noch über die Konstruktion neuer Brücken gestritten wird, werden die alten schon abgerissen. Die Benutzung des Notausgangs Erwerbsminderungsrente hat bereits Rot-Grün drastisch eingeschränkt. Der Zugang in diese Rentenform ist um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Jetzt soll auch noch die Altersteil- zeit auslaufen. „Arbeiten bis zum Umfallen!“ ist jetzt wohl die Devise.

Vergessen wir nicht, dass es der Sozialdemokrat Müntefering war, der gegen alle Widerstände nicht nur die Rente mit 67 durchgepowert hat,

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Guter Mann!)

sondern auch gleichzeitig das Ende der Altersteilzeitförderung verbrochen hat. Also, auf der einen Seite heißt es nun länger arbeiten, auf der anderen Seite werden die Ausstiegsmöglichkeiten zuge- stellt. Wer vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden will, muss deftige Abschläge in Kauf nehmen. Was anderes als eine brutale Rentenkürzung für körperlich und/oder seelisch Ausgebrannte ist denn ein solches Vorgehen?

(Beifall bei der LINKEN)
Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Schneider!)

Ist das noch sozial, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD?

Dass Übergange vom Erwerbsleben in die Rente sozial zu gestalten sind, darauf haben wir Linke mit einer Reihe von Anträgen hingewiesen. Auch wenn Sie diese reflexartig abgelehnt haben, stellen wir als Linke heute fest, dass es sich lohnt, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen. Irgendwann merkt selbst die SPD, was für einen Schwachsinn sie verzapft.

(Beifall bei der LINKEN Widerspruch bei der SPD)

Das Präsidium der SPD hat am 5. Mai ein Papier für die Weiterentwicklung der Altersteilzeit und Teilrente beraten. Das ist zwar eine Schmalspurvariante der bisherigen Regelung, aber immerhin besser als gar nichts. Wenn sich die SPD in dieser Frage jetzt bewegt, dann geschieht dies nur, weil wir sie in Bewegung gebracht haben.

(Elke Ferner (SPD): Lächerlich!)

Die Linke sorgt dafür, dass eine Kernforderung der Gewerkschaften im parlamentarischen Raum eine Stimme erhalten hat. Dem können Sie sich nicht entziehen, und deshalb macht nur eine starke Linke Deutschland sozialer.

(Beifall bei der LINKEN Andrea Nahles (SPD): Ach, du lieber Gott!)

Große Koalition heißt in der Frage der Altersteilzeit einmal mehr großer Ärger. Selbst die Schmalspur- variante der SPD lehnt die CDU/CSU entschieden ab. Die auslaufende Regelung habe nicht den erhofften Erfolg gehabt, sondern faktisch zur Frühverrentung beigetragen, so der Kollege Brauksiepe am Dienstag. Das ist eine erstaunliche Bewertung. Welchen Sinn hat denn die Altersteilzeit? Doch wohl den, dass Menschen früher in Rente gehen können, und zwar so, dass dies nicht mit einem finanziellen Absturz verbunden ist.

Was wäre denn Ihre Alternative, Herr Brauksiepe: dass man als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer auch noch selbst dafür bezahlt, dass man sein Leben lang so hart geschuftet hat, dass man es einfach nicht mehr packt? Allein im letzten Jahr bekamen fast 105 000 junge Menschen einen Arbeitsplatz, der zuvor durch Altersteilzeit frei gemacht worden ist. Was, Herr Brauksiepe, bieten Sie diesen jungen Menschen zukünftig als Alternative: die Arbeitslosigkeit, einen 1-Euro-Job, Midi- oder Minijob, Leiharbeit, eine Teilzeit- oder befristete Beschäftigung? Oder aus welchen sonstigen prekären Beschäftigungen besteht Ihr fantastischer Aufschwung?

Für uns Linke jedenfalls ist die Altersteilzeitförderung gelebte Solidarität zwischen den Generationen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ältere Beschäftigte können aus dem Arbeitsleben zu ordentlichen Konditionen ausscheiden, jüngere kommen in den Arbeitsprozess hinein. Wenn die Altersteil- zeitförderung abgeschafft wird bzw., wie geplant, ausläuft, kommt es zu einem massiven Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit und zu mehr Altersarmut. Sagen Sie dann nicht, das hätten Sie vorher nicht gewusst!

Noch ein paar Worte zur SPD und ihren Vorschlägen. Wir sind gespannt, wann sie uns einen entsprechenden Antrag vorlegt. Dass Sie im Herbst dieses Jahres ein Gesamtkonzept „Altersgerechtes Arbeiten Zukunftssichere Rente“ vorlegen wollen, dürfte zumindest für die Altersteilzeit etwas spät sein. 2009 läuft die Förderung aus; deshalb wurden entsprechende Tarifverträge von der IG Metall vorsorglich gekündigt. Die SPD will, dass ab 2010 Altersteilzeit für alle Neuanträge erst ab dem 57. Lebensjahr möglich ist. Damit werde bei der Altersteilzeit angeblich die Anhebung der Regelaltersgrenze um zwei Jahre nachvollzogen. Wieso dann aber schon 2010? Die Rente mit 67 ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal gestartet. Vollständig umgesetzt wird sie erst 2029 sein.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Dass für die Wiederbesetzung der Stellen nur Ausbildungsabsolventen, nicht aber andere junge Arbeitslose infrage kommen sollen, ist nur schwer nachzuvollziehen. Nicht zu akzeptieren sind Überlegungen, statt einer Wiederbesetzung der Stellen auch die Schaffung eines Ausbildungsplatzes als Ausgleich gelten lassen zu wollen. Das zeigt aber, dass Sie trotz aller Ihrer Schaufensterreden genau wissen, wie es auf dem Ausbildungsmarkt aussieht.
(Elke Ferner (SPD): Schaufensterreden halten Sie!)
Aber die Altersteilzeit ist nicht das Instrument, um Ihr Versagen zu kaschieren, junge Menschen in genügend großer Zahl und frühzeitig in Ausbildung zu bringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht mehr spaßig sind Ihre Vorschläge zum Teilrentenbezug; denn dieser soll unmöglich sein, wenn im späteren Verlauf eine Abhängigkeit von der Grundsicherung im Alter verursacht wird. Das ist nun wirklich fast nicht mehr zu glauben. Sie tun alles dafür, dass es den Menschen Jahr für Jahr schwerer fallen wird, noch eine vernünftige Rente zu erhalten.

(Elke Ferner (SPD): Das glauben Sie ja selber nicht!)

Sie senken das Rentenniveau und muten den Leuten zunehmend Beschäftigung in prekären Arbeits- verhältnissen zu. Wenn sie in ihrem Leben jede noch so üble und noch so schlecht bezahlte Arbeit angenommen haben bzw. annehmen mussten, dann verweigern Sie ihnen auch noch den flexiblen Übergang in die Rente. Das heißt doch wohl: Wer hat, dem wird gegeben; wer nichts hat, muss sehen, wo er bleibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt also noch vieles zu diskutieren; aber die Altersteilzeit verlangt heute eine Lösung. Deshalb fordert die Linke die Bundesregierung auf, jetzt die Förderung der Bundesagentur für Arbeit von Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz fortzuführen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN
Wolfgang Grotthaus (SPD): Einfach nur schwach!)