25.04.2008 – Volker Schneider
Für viele Menschen ist Altersarmut verdammt real und Wohneigentum von einem anderen Stern
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Dr. Krüger, Ihre Rede mutete mir gespenstisch an. Sie haben die Riester-Förderung und den vorliegenden Gesetzentwurf als tolle Erfolge gefeiert. Ich frage mich ernsthaft, ob Ihnen überhaupt bewusst ist, welches der Sinn einer Rentenversicherung ist. Meiner Meinung nach besteht die Kernaufgabe einer Rentenversicherung darin, die Menschen im Alter vor Armut zu schützen und ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Kassiererin aus einem Hamburger Supermarkt, die genauso wie die meisten ihrer Kolleginnen 400 Euro verdient, fragt sich: Was habe ich von diesem Gesetz? Der Bauleiter in Erfurt, der über 50 Jahre alt ist und schon seit vier Jahren arbeitslos ist, fragt sich: Was nutzt mir dieses Gesetz? Die Fernsehjournalistin aus Köln, die sich als Selbstständige von Auftrag zu Auftrag hangelt und später von den Leistungen der Künstlersozialversicherung leben muss, fragt sich: Schützt mich und nutzt mir dieses Gesetz wirklich? Der Soloselbstständige aus dem Saarland, der mit großen Hoffnungen in seine Ich-AG gestartet ist und heute von der Hand in den Mund leben muss und keinen einzigen Cent für die Altersvorsorge erübrigen kann, fragt sich: Was nutzt es? Ich sage Ihnen: Für diese Menschen ist Altersarmut verdammt real und Wohneigentum von einem anderen Stern.
(Beifall bei der LINKEN)
Schauen wir uns Ihre tollen Erfolge bei der Riester-Rente genau an. Aufgrund der veränderten Demografie trägt der Generationenvertrag nicht mehr. Also muss privat vorgesorgt werden. Was passiert aber, nachdem Sie den Menschen das Heil aus der privaten Altersvorsorge versprochen haben und alle Risiken ignoriert haben, die dieses System mit sich bringt?
Sie haben das System der gesetzlichen Rentenversicherung demontiert und seiner Schutzfunktion beraubt, sodass die freiwillige private Zusatzversorgung heute faktisch ein Zwang ist Herr Meister will sie auch zum Zwang machen, wenn ich seine Rede richtig verstanden habe, es sei denn, ich will sehenden Auges in Kauf nehmen, dass ich im Alter nicht ausreichend vor Armut geschützt bin.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie versuchen, den Menschen weiszumachen, dass es gut für sie sei, wenn jeder selbst Kapital für das Alter aufbaut, und tun auch noch so, als wäre dies immer mit einer tollen Rendite, zumindest mit einer besseren Rendite als in der gesetzlichen Rentenversicherung verbunden. Ich will hier nur am Rande für die Kolleginnen und Kollegen der sogenannten Sozialdemokratie erwähnen, dass in dem Moment, wo jeder für sich selbst sorgt, das Solidarprinzip endgültig aufgekündigt ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei Ihrer ungebrochenen Begeisterung für die private Vorsorge übersehen Sie beflissentlich einige Punkte, die Ihnen zu denken geben müssten. Selbst Herr Rürup bestreitet nicht, dass die Verwaltungskosten bei den privaten Versicherern bis zu fünfmal so hoch liegen wie in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das ist kein Wunder. Man muss sich nur anschauen, wie viele Versicherungsvertreter unterwegs sind, welche Provisionen sie kassieren und welcher Werbeaufwand getrieben wird. Zieht die Versicherung die Verwaltungskosten zuerst ab, dann wird manch einer staunen. Viele, die in einer Notlage eine Lebensversicherung vorzeitig gekündigt haben, mussten schon feststellen, dass sie exakt null herausbekommen, obwohl sie jahrelang eingezahlt haben.
Nun behaupten Sie, dass die Versicherungsunternehmen mit dem eingezahlten Kapital arbeiteten und damit deutlich bessere Renditen erzielten als die gesetzliche Rentenversicherung. Das belegen Sie dann mit Beispielrechnungen, die so unseriös sind, dass im Vergleich dazu ein Hütchenspieler fast schon wie eine ehrliche Haut erscheint.
(Beifall bei der LINKEN)
Was Sie bei all diesen Berechnungen verschweigen, ist die Tatsache, dass die gesetzliche Rentenversicherung mehr ist als nur eine Alterssicherung; denn sie schließt auch die Absicherung bei Erwerbsminderung ein. Wenn man bei einer privaten Versicherung eine sehr teure Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abschließen muss, dann lösen sich Ihre Renditeversprechungen ganz schnell in Luft auf.
(Frank Schäffler (FDP): Das sind zwei Paar Schuhe!)
Das ist hinsichtlich der Renditeversprechungen auch kein Wunder: Wenn man von dem eingezahlten Kapital zuerst bis zu 20 Prozent für Verwaltungskosten abzieht, dann müsste man schon sensationell wirtschaften, um mit den verbleibenden 80 Prozent Kapital noch tolle Erfolge zu erzielen.
Wo werden diese Renditen erzielt? Auch die Lebensversicherer investieren am internationalen Finanzmarkt, und was dort im Moment passiert, brauche ich wohl nicht mehr zu sagen. 1 000 Milliarden Dollar lösen sich im Moment in Luft auf. Die Menschen in Südamerika, in den USA und in Großbritannien mussten erleben, wie ihre betriebliche und private Vorsorge in der Vergangenheit katastrophale Einbrüche erlebte. Das stand am 10. März 2004 auch in der Frankfurter Rundschau zu lesen:
Drei Jahre sinkender Börsenkurse und niedriger Zinssätze haben den Wert des nichtstaatlichen Rentenvolumens drastisch gesenkt.
In derselben Woche hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschlossen, das die private Vorsorge eindeutig stärker fördert. Kurz zuvor auch das hat als Mahnung nicht gereicht war mit der Mannheimer Lebensversicherung erstmals auch in Deutschland ein Versicherungskonzern in die Knie gegangen. Die Risiken waren und sind also bekannt.
Und als Letztes: Während die gesetzliche Rentenversicherung vor ihrer Absenkung durch die Einführung von Dämpfungsfaktoren der Lohnentwicklung folgte, erhalten Sie bei einer privaten Vorsorge das heraus, was Sie eingezahlt haben, zuzüglich der erzielten Rendite.
(Frank Schäffler (FDP): Wenn das bei der Rentenversicherung mal so wäre!)
Dieser Betrag ist aber während der gesamten Vertragslaufzeit der Inflation ausgesetzt. Deshalb wird es manch langes Gesicht geben, wenn den Versicherten klar wird, wie viel die versprochene Rente, deren Höhe bei Vertragsabschluss noch so vielversprechend klang, bei der Auszahlung tatsächlich wert ist. 100 000 Euro entsprechen bei einer Inflationsrate von 1,5 Prozent nach 35 Vertragsjahren real noch nicht einmal mehr 60 000 Euro. Das sind die Fakten.
Ein Gewinner dieses Systems steht jedoch fest: die Versicherungsunternehmen, denen Sie durch die Privatisierung der Altersvorsorge mindestens 12 Milliarden Euro zusätzlichen Umsatz beschert haben. Damit deren Umsatz weiter steigt, übernehmen Sie jetzt auch noch die Kosten für die Werbegeschenke an Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr, auch wenn Sie das Berufseinsteigerbonus nennen.
(Eduard Oswald (CDU/CSU): So geht es ja wohl nicht! Das ist ja ein toller Unsinn! Unglaublich!)
Weil das Geschäft so toll läuft, sollen nach den Versicherungsunternehmen auch die Bausparkassen von der Privatisierung profitieren. Sollten Sie in den nächsten Jahren nicht wieder ihre 60 000 Euro Spenden vom Allianzkonzern bekommen, ahne ich, woher das Geld beim nächsten Mal kommen wird.
(Eduard Oswald (CDU/CSU): Unglaublich!)
Den Menschen draußen im Land hilft das nichts. Aber das kümmert Sie ja offensichtlich nicht.
(Beifall bei der LINKEN Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Demagoge! Das war hinterhältig!)
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